Die Reichsheimstätten-Doppelhaushälfte hatte für eine Familie wie uns, eine ausreichende Größe. Es hatte einen Keller, wo sich der mit Koks betriebene Heizkessel und das dazugehörige Kokslager befanden. Eine Waschküche, die fortan jede Woche am Waschtag, wofür der Montag vorgesehen wurde, zum Waschen der Wäsche einer fünfköpfigen Familie diente.

Ich weiß nicht ob jedem wirklich klar ist, was das in dieser Zeit bedeutete. Waschtag war tatsächlich ein ganzer Tag, den meine Mutter in einer Atmosphäre zubrachte, die heute gerne mal zu Wellness-Zwecken für eine viertel Stunde aufgesucht wird. Es kann ja jeder mal versuchen im Dampfbad eines Wellness-Tempels, acht Stunden durchzuhalten. Ich bezweifle, dass da noch allzu viel vom Wellness-Gedanken übrig bleibt. Ganz abgesehen von der körperlichen Leistung die da zu erbringen war. Da war nix mit Knopf drücken und warten bis es piept. Ein großer kupferner Waschkessel wurde mit Holz befeuert. Darin wurde mit einem Stampfer die Wäsche gestampft, dann auf einem Waschbrett saubergeschruppt und gerubbelt und später in verschiedenen Zinkwannen – die mir im Sommer auch als Swimmingpool dienen sollten – gespült, bis die Seifenlauge aus der Wäsche war. Dann auswringen und wenn möglich, draußen im Garten aufhängen. Wenn der Garten witterungstechnisch nicht zur Verfügung stand, musste die Wäsche in der Waschküche aufgehängt werden. Dann musste meine Mutter ihre Arbeit zwischen tropfenden Kleidungsstücken verrichten, was die feucht-schwüle Atmosphäre nicht verbesserte. Es sollte ungefähr 10 Jahre dauern, bis die ersten halbautomatischen Hilfssysteme in der Waschküche Einzug hielten.
Dann gab es noch den Werkzeugkeller, der auch später die Heimat der Modelleisenbahn werden sollte. Dieses Kapitel wird noch etwas ausführlicher zu behandeln sein.
Das Parterre beherbergte das Esszimmer, den Salon oder auch die „gut Stubb“ und die Küche. Ein gewisser Luxus wurde auch durch eine Gästetoilette, die sich zwischen Eingangstür und der sogenannten Windfangtür zum Flur befand, symbolisiert. Vom Flur aus gelangte man in den Keller und über eine fatalerweise immer knarrende Holztreppe in die oberen Stockwerke.
Das Esszimmer, in dem der heute noch in meinem Besitz befindliche Bücherschrank und eine dazu passende Standuhr stand, spielte sich das soziale Leben der Familie ab. Hier, so erinnere ich mich gerne zurück, wurden viele gemeinsame Karten – und Brettspiele gespielt. Was aber abrupt weniger wurde, als ein neues Familienmitglied namens Fernsehgerät bei uns einzog und völlig zum Erliegen kam als das Programmangebot größer wurde.
Weiterhin gab es eine Besonderheit, welche das Einheitshaus nach hinten hin, von seinen gleichförmigen Nachbarn unterschied. Ein Wintergarten. Aber nicht irgend so ein Fertigbauteil-Wintergarten wie man ihn heute kennt. Nee, nee, der war richtig gemauert und hatte oben drauf über die gesamte Fläche einen Balkon. Die Holz-Rollläden an den großen Fensterflächen waren so schwer, dass nur ein Erwachsener den größten davon hochziehen konnte. Den nächst kleineren konnte ich erst im Alter von 12 Jahren bedienen. Ein toller Einbruchsschutz. Die riesigen Fenster konnte man zur Hälfte nach oben schieben, was aber durch die vielen Farbschichten auf dem Rahmen irgendwann nicht mehr funktionierte, und der untere Teil der Rollläden konnte nach außen geklappt werden. Technik die mich als Kind total faszinierte. Nie vergessen werde ich das besondere Licht, das sich bei Sonnenschein und herunter gelassenen, ausgeklappten Rollläden in den unteren Räumen ausbreitete.

Am Wintergarten war ein Steingarten angeschüttet und auf der anderen Seite des Weges, der um das Haus herum führte, gab es einen riesigen Rosenbogen. Dahinter Rasen, mit den üblichen Eisenstangen zum Wäscheleinen spannen, gesäumt von Beeten. Die Beete waren in meiner frühen Kindheit mit allerlei Obstsorten – Johannisbeere, Stachelbeere, Erdbeeren, Rhabarber und drei alten Apfelbäumen – bevölkert, die dann von Jahr zu Jahr weniger wurden, da meinen Eltern die Arbeit zu viel wurde.
Kommen wir nun in den ersten Stock. Hier befand sich, mit Ausgang zu bereits erwähntem Balkon über dem Wintergarten, das Elternschlafzimmer. Ein kleineres Zimmer, ebenfalls mit Ausgang zum Balkon, war mein kleines Reich. Das ungefähr gleichgroße Zimmer, wie das der Eltern, beheimatete meine beiden Schwestern. Dies machte Sinn. Erstens das Geschlecht betreffend und zweitens die durch die neun Jahre Altersunterschied zu meiner jüngsten Schwester, abweichende Interessenlage, was, speziell in späteren Jahren, das „Spielen“ anging.
Dann gab es noch das Badezimmer, mit zu jeder Zeit verfügbarem heißem Wasser. Warum ich das so explizit erwähne? Meine Hersfelder Oma schürte zu dieser Zeit und auch noch einige Zeit später, nur Samstags den Badeofen an. Und das Badewasser wurde nicht nur für eine Person benutzt.
Im zweiten Stock befand sich ein großes Zimmer mit Dachschräge und eine Kochnische im Flur. Hier wohnte ein Ehepaar, dem der Krieg wohl etwas übler mitgespielt haben musste, sodass sie bei uns Unterschlupf fanden. Das Ehepaar trug den Namen Zucker. Als Kind war dieser Name ein Name wie alle anderen. Erst viel später, als ich verstand welche Gruppe von Mitbürgern häufig Namen wie eben Zucker, Blumberg, Sternberg, Goldmann, Rosenberg, etc. trugen, bekam ich das Gefühl, dass meine Eltern hier etwas wieder gut machen wollten, was sie, wie die meisten, ein wenig mehr als ein Jahrzehnt zuvor, nicht sehen, geschweige denn, wahr haben wollten.
Im Freundeskreis meiner Eltern gab es auch einen Rosenberg, der in Frankfurt in wilder Ehe mit einer Tochter des ehemaligen Inhabers des Friseurgeschäftes, welches mein Vater nach Kriegsende übernehmen sollte, lebte. Das gab mir immer das gute Gefühl, dass meine Eltern nichts mit Aktivitäten, den Holocaust betreffend zu tun hatten. So soll es auch bleiben.
Die Nachbarschaft war bunt gemischt. Es gab den Rechtsanwalt, den Gardinenladenbesitzer, den Tankstellenbesitzer (zu dieser Zeit durchaus eine Quelle des Wohlstands), den Foto-Geschäft Besitzer, den Allianz-Agentur Besitzer, etc. etc.
Es gab aber auch durchaus merkwürdige Gestalten. Dazu später mehr.
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