17) Wie´s so war, daheim

/

Es war eine schöne Zeit, zwischen 1956 und 1970. Unsere Straße war eine kleine heile Welt. Kriminalität und Bedrohung jeglicher Art gab es nicht. In der Nähe gab es mal einen Vorfall. Eine Frau war die Treppe herunter gestürzt und dabei zu Tode gekommen. Es ging das Gerücht um, dass die Frau gestoßen wurde, da sie mit einer, man beachte, rothaarigen Person liiert war. Diese männliche Person war bekannt für seinen Jähzorn. Daher musste es so gewesen sein. Er hatte sie die Treppe hinunter gestoßen. Der vermeintliche Übeltäter war wenig später verschwunden. Bestimmt im Gefängnis oder auch einfach nur ausgezogen, weil er sich vielleicht alleine die Wohnung nicht mehr leisten konnte oder wollte.

In schöner Regelmäßigkeit kam der Vorwerk-Vertreter, der Weinhändler oder Andere, die einem etwas wertvolles an der Haustüre verkaufen wollten. Versicherungsvertreter kamen keine. Der wohnte ja direkt nebenan. Der Ölmann kam regelmäßig alle 14 Tage. Ein damals schon älter aussehender Herr, der an seinem Fahrrad zwei große Taschen mit Erdnussölflaschen hängen hatte. Bei ihm wurden die Ölvorräte zum Kochen gekauft. In größeren Abständen bekam man den Ruf: „Lumbe, Aaal-Eise, Babier“ zu hören. Der örtliche Schrotthändler fuhr durch die Straßen und sammelte eben Lumpen, Alteisen und Papier ein. Das Papier sorgsam gestapelt und mit einer Kordel verschnürt. Wenn man dererlei Dinge zu ihm ins Geschäft brachte, bekam man sogar noch Geld dafür. Also haben wir Kinder diese Sachen auch gerne selbst eingesammelt und dann per Bollerwagen zum „Deuser“, wie der Schrotthändler hieß, gebracht. Mit dem Ertrag konnte man sich schon wieder die eine oder andere Leckerei leisten. Größter Fund war ein alte Autobatterie. Dafür gab es unglaubliche fünf Mark.

In der Einfahrt stand eine Mülltonne und nicht vier Tonnen in unterschiedlichen Farben, wie heute. Die Tonne war rund und aus Zinkblech. Man musste sich noch nicht einmal darum kümmern, wann die Tonne gelehrt werden muss. Am Tag der Leerung kam morgens ein Mitarbeiter der Müllabfuhr auf´s Grundstück und stellte die Tonne auf den Bürgersteig. Nach erfolgter Leerung kam allerdings keiner mehr. Das Reinstellen der Tonne war dann wieder den Hausbewohnern überlassen. Was für eine Zumutung.

Der Müll wurde dann auf eine der Müllkippen überall rund um die Städte verteilt. Es gab den sogenannten „Monte Scherbelino“. Dieser beachtliche Müllberg brannte häufiger einmal. Bei Ostwind konnte man den Gestank kilometerweit riechen. Er drang im Sommer sogar in mein Kinderzimmer. Wenn der Scherbelino stank, konnte man im Sommer von einer stabilen Hochdruck-Wetterlage ausgehen, die einem viel Sonne bescherte. Ein weiterer Müllberg befand sich in nächster Nähe, hinter dem Waldschwimmbad. Dieser wurde aber nicht lange betrieben, dann mit Erde befüllt und diente dann im Waldschwimmbad als „Sonnenhügel“. Austretende Schadstoffe spielten da keine so große Rolle.

Es gehörte sich, dass man Samstags den Bürgersteig samt Garageneinfahrt und Weg zur Haustür kehrte. Als ich ungefähr acht Jahre alt war, hatte mein Vater beschlossen, dass ich nun im kehrfähigen Alter sei. Seit diesem Zeitpunkt war zumindest ein Streitpunkt fest im wöchentlichen Terminkalender verankert. Kehren. Ja. Nein. Vielleicht. Zu spät. Vergessen. Einige Jahre später versuchte mein Vater meine beharrliche Kehrverweigerung durch Zahlung von fünf Mark pro Kehrung zu durchbrechen. Bei diesem Preis waren allerdings die Wege ums Haus eingeschlossen. Es wirkte nur mäßig, je nach Bedürfnissen, die durch das Geld hätten befriedigt werden können.

Apropos kehren. Schnee kehren machte allen Spaß. Da gab es richtiggehend ein Gerangel. Man konnte meine jüngere Schwester, die robuste, auch schon mal barfuß Schnee fegen sehen. Sehr zum Entsetzen meiner Mutter.

Ein weiteres Samstagsritual war das immer gleiche Mittagessen. Jeden Samstag gab es Nudeln mit Haschee (Hackfleischsoße). Für meinen Vater und mich überhaupt kein Problem. Wir freuten uns jeden Samstag neu darauf. Eines Tages kam meine Mutter von ihrer Arbeit nach Hause und verkündete, dass sie ein ganz tolles Rezept von ihrer Kollegin bekommen habe. Paprikahuhn in Weinsoße mit Reis. Ein beliebiger Samstag wurde als Testtag für das neue Gericht ausgewählt. Als Wein, in dem das Huhn garen sollte, wurde der „Fröhliche Zecher“, den es in der Literflasche beim „Berz“ oder beim „Simon“ (beide SPAR) gab, ausgewählt. Da ja nicht der ganze Liter Wein an das Gericht musste, war noch genug übrig, um bei meiner Mutter eine gewisse heitere Grundstimmung beim Kochen zu erzeugen. Nun war das Gericht in längeren Abständen zum samstäglichen Standardessen erkoren worden. An einem dieser Samstage schmeckte das Gericht jedoch sehr sauer, und die Stimmung meiner Mutter war besonders heiter. Mein Vater und ich hinterfragten den Grund für beides. Nach einigem Zögern gestand meine Mutter, dass sie den Wein gegen Essig getauscht hatte. Dies war nötig geworden, weil sie sich die komplette Flasche Wein einverleibt hatte. Es sollte nie wieder vorkommen.

Bei der Fraa Frehlisch (Frau Fröhlich für Nichthessen) wurde in der Waschküche ein Schwein geschlachtet. Ich erinnere mich noch an die Metzelsupp im Waschbottich. Die war sowas zwischen eklig, gehaltvoll und dann auch wieder schmackhaft, da darin die Würste gebrüht wurden. Es sollte ein einmaliges Ereignis bleiben.

Normalerweise fuhr meine Mutter mit in der Fraa Frehlisch ihrem roten Fiat 500 nach Frankfurt, wenn es um Kleidungskauf ging. Wenn es aber um Kleidung für mich ging, mussten wir mit der Straßenbahn fahren. Wir hatten in Neu-Isenburg eine Haltestelle der Frankfurter Straßenbahn. Richtigerweise muss man sagen, dass die Haltestelle eigentlich auf dem Stadtgebiet von Frankfurt lag. Wenn man in Neu-Isenburg die Friedensallee überquerte, war man direkt in Frankfurt, im Frankfurter Stadtwald. Wenige hundert Meter von der Friedensallee befand sich im Wald die Haltestelle der Straßenbahn. Die Gleise wurden schon vor dem Krieg genutzt. Da fuhr allerdings die dampfbetriebene Waldbahn. Mein Vater hatte mir erzählt, dass er immer mit dieser Waldbahn in das Gymnasium nach Frankfurt fahren musste. Wenn die Bahn stark frequentiert war, mussten an einer kleinen Steigung im Wald ein Teil der Fahrgäste aussteigen und die Bahn schieben. Nun ja, jetzt fährt die elektrisch betriebene Straßenbahn, und keiner musste mehr schieben. Die Straßenbahn bestand normalerweise aus drei Einheiten. In jedem Wagen befand sich ein Schaffner, der Fahrkarten verkaufte und entwertete. Also mit dem Fahrer, vier Personen Personal für eine Bahn. Ein heute unvorstellbarer Zustand. Die Schaffner mussten auch an einer Schnur ziehen, die eine Glocke auf dem Dach des Wagens betätigte, wenn der Wagen abfahrbereit war. Dreimal Bim und die Bahn setzte sich in Bewegung. Die Türen der Wagen waren zumeist auch während der Fahrt geöffnet. An frischer Luft, zumindest auf der Waldstrecke, mangelte es also nicht.

Gegenüber der Straßenbahnhaltestelle befand sich ein Lokal. Der „Haxenhainer“. Zumindest kenne ich das Lokal unter diesem Namen. Vielleicht hieß es am Anfang anders. Heute jedoch heißt es nicht mehr so. Das besondere daran war, dass das Lokal halt quasi in Frankfurt stand und deshalb bis vier Uhr morgens geöffnet war. Ab ein Uhr nachts hatte das Lokal regen Zulauf von vielen Gästen, die zuvor um ein Uhr aus den Lokalen in Neu-Isenburg geworfen wurden und noch immer nicht genug hatten. Der eine oder andere Gastronom aus Neu-Isenburg war auch unter den Gästen um diese Zeit. Hainer machte die Küche und Helga das Lokal. Auch oblag es Helgas strengem Blick durch die Türklappe zu beurteilen, wer würdig war das Lokal zu betreten.

Aber ich schweife ab. Einkaufen nach Frankfurt war ein Event. Auf der Einkaufs Meile, der Zeil, befand sich ein Kaufhaus nach dem anderen. Kaufhof, Ammerschläger, Neckermann, die Kaufhalle, alle relativ nahe zusammen. Es gab noch Autoverkehr und die Straßenbahn fuhr auch noch durch die Zeil. Etwas abseits von der Zeil befand sich das Kaufhaus „DeFaKa“, in dem wir hauptsächlich einkauften, da es ein Ratenkaufsystem hatte. Wikipedia sagt dazu:

DeFaKa (Deutsches Familien-Kaufhaus GmbH) war eine deutsche Warenhauskette. Sie bestand seit den 1920er Jahren und wurde zuletzt als auslaufende Kaufhaus-Sparte ohne Vollsortiment mit Schwerpunkt auf Textilien von der Helmut Horten GmbH betrieben. Die DeFaKa Kaufhäuser hatten sich besonders als Pioniere eines eigenen Kundenkredit-Systems einen Namen gemacht, das vor allem in der Nachkriegszeit bei der deutschen Bevölkerung große Popularität genoss.“

Hier wurde hauptsächlich die Kleidung für die Familie gekauft, und manchmal auch was für den Haushalt. Später kamen dann die Versandhäuser, Neckermann, Quelle, Baur, etc., wo meine Mutter dann auch Sammelbesteller war. Sie sammelte sozusagen Bestellungen aus dem Freundeskreis oder der Nachbarschaft, bekam dafür einen Rabatt und als schöner Nebeneffekt fanden dann die Modeschauen mit den erworbenen Artikeln meistens bei uns zu Hause statt. Kaffee und Tratsch inbegriffen.

Wenn die neuen Kataloge kamen, war das immer wie ein kleiner Festtag. Man sah sich die Bilder in dem mehrere hundert Seiten umfassenden Katalog an und träumte von Sachen, die man sich nicht leisten konnte. Besonders interessant für mich waren die Seiten mit der Damenunterwäsche.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Letzte Beiträge