24) Weihnachten

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Weihnachten, der Quell der Freude und Besinnlichkeit. Bei uns zu Hause an Heilig Abend immer ein Quell des Familienstreits. Durch selbst gemachten Stress, lagen die Nerven eigentlich immer blank. Am schönsten war die Zeit vor und nach dem Heiligen Abend.

Zum Weihnachtsbaumkauf durfte ich meistens mitgehen. Das war für mich so schön, da ich mit meinem Vater alleine was unternahm. Da die Tage zu dieser Jahreszeit bekanntlich kurz sind, war es bereits dunkel, wenn mein Vater von der Arbeit kam und wir dann losgingen einen Baum zu kaufen. Mit meinem Vater durch das dunkle Neu-Isenburg zu laufen, war als Kind für mich total aufregend. Oft schneite es zu dieser Zeit, was dem Ganzen eine romantische Note zur Einstimmung auf Weihnachten verlieh. Ich lernte so schon früh, welche Kriterien ein Weihnachtsbaum zu erfüllen hatte. Da anfangs nur echte Kerzen auf dem Baum platziert wurden, mussten die Äste so sein, dass niemals ein Ast über eine Kerze ragte. Es kam also extrem auf die Verteilung der Äste an. Was sich bei mir bis zum heutigen Tag verinnerlicht hat. Dadurch war so ein Baum nicht mal eben gekauft, sondern es wurden zahlreiche Modelle begutachtet, bis der Richtige gefunden war. Dann trugen wir gemeinsam den Baum nach Hause. Dies war nötig, da unser Baum niemals in unser Auto gepasst hätte. Ich trug ihn im Bereich der Spitze, mein Vater im Bereich des Stamms.

Auf dem Nachhauseweg kamen wir auch immer am Schaufenster vom „Spielwaren Kaiser“ vorbei. Eine gute Gelegenheit den Baum einmal abzusetzen und die fahrenden Züge der Modellbahn im Schaufenster zu bewundern. Was die Begeisterung dafür anging, waren sich mein Vater und ich sehr ähnlich. Vor seinem Groll bedingten Ausstieg aus dem Modellbahnhobby, weckte die Auslage im Schaufenster bei uns beiden Begehrlichkeiten in gleichem Maß. Zu Hause angekommen, wurde der Baum ins Freie, in einen Eimer mit Wasser gestellt. Meistens bildete sich recht bald ein fulminanter Eisblock um den Stamm, was das Bereitstellen des Baums zwecks Schmückung zusätzlich erschwerte.

Aus Gründen einer für mich nicht nachvollziehbaren Tradition wurde der Weihnachtsbaum erst am Heiligen Abend morgens geschmückt. Das Prozedere zog sich über Stunden hin. Wenn ein Eisklotz am Stamm war, dann dauerte es erst recht noch länger und das familiäre Stresslevel stieg. Am Anfang trug der Baum ausschließlich echte Kerzen. Diese mussten natürlich exakt platziert werden, sodass kein Ast über der jeweiligen Kerze war. Das dauerte. Danach wurden die Kugeln platziert. Es handelte sich um uralte Glaskugeln aus der Familie. Gerettet über alle Wirren der Zeiten. Also nix, was man in Kinderhände oder in die Hände sonstiger unqualifizierter Amateurschmücker geben konnte. Das dauerte. Danach kam dann das Highlight. Staniol-Lametta. Das einzig wahre Lametta. Jeder einzelne Lamettastreifen wurde platziert. Beim Abschmücken übrigens, wurde jeder einzelne Streifen wieder abgehängt und sorgfältig verpackt für das folgende Jahr. Etwas Engelhaar, aufgeplusterte Glaswolle, wurde hier und da über die Äste gehängt. So zog sich das Schmücken des Baumes über Stunden hin. Natürlich hinter verschlossenen Türen. Die verschlossenen Türen waren übrigens zwischen Ess- und Wohnbereich, in dem der Baum stand, eine doppelseitige Schiebetüre mit Milchglasscheiben, die das Treiben im Wohnzimmer nur schemenhaft preis gaben.

Zu essen gab es am Heiligen Abend nur Dinge, die schnell gemacht waren. Der vorbereitete Kartoffelsalat wurde dann durch ein Rumpsteak ergänzt, das man sich nur äußerst selten einmal gönnte. Heilig Abend schien dafür der geeignete Anlass zu sein. Meine Mutter wollte ja keinen Stress.

Alle Familienmitglieder wurden gebadet oder geduscht, damit man wohlriechend dem Christkind gegenübertreten konnte. Da war mein Vater natürlich der letzte von allen. Wegen des Baums. Die guten Sachen wurden angezogen, und man begab sich in die Johannisgemeine zum Weihnachts-Gottesdienst am Nachmittag. Mit zunehmenden Reifegrad meiner Person, wurde genau dieser Programmpunkt der Auslöser für einen alljährlichen weihnachtlichen Streit. Der Sinn, jedes Jahr wieder das Gleiche anhören und ansehen zu müssen, verschloss sich mir von Jahr zu Jahr mehr. In den Kindertagen hatte es ja noch einen gewissen Reiz, denn während des Gottesdienstes war es dunkel geworden. Wenn man aus der Kirche kam, war die Nacht herein gebrochen. Der damals noch vorhandene Schnee erhellte die ungeräumten Flächen rund um die Kirche. Draußen standen dann die Gottesdienstbesucher noch einige Zeit herum, und man wünschte sich gegenseitig ein gesegnetes Weihnachtsfest. Heute ist das eine schöne Vorstellung für mich, damals war es einfach nur lästig und völlig daneben. Ach ja, die Kleidung. Man hatte natürlich auch das Beste aus dem Schrank geholt. Mein Vater bekam von meiner Mutter einen Hut aufgesetzt, was sie so liebte, da er mit Hut so gut aussah und was er hasste, denn er mochte keine Hüte. Irgendwann hatte meine Mutter einen Pelzmantel geschenkt bekommen. Dieser wurde natürlich bei dieser Gelegenheit präsentiert, da der Skiurlaub in St. Moritz leider wie immer ausfallen musste. Die Dame von Welt trug nun mal Pelz.

Von der Kirche führte der Weg durch die dunklen Straßen von Neu-Isenburg zum Friedhof. Hier wurde die Grabstätte der Familie aufgesucht. Es wurde eine Kerze entzündet und ein Moment in einer Art Gebet verharrt. Danach besuchte man noch das eine oder andere Grab eines Bekannten oder Verwandten und begab sich dann in Richtung Begräbniskapelle. Bei jenen Grabbesuchen konnten wir den Zustand des Grabes von Frau Diewisch registrieren, das von Jahr zu Jahr weniger gepflegt daher kam. Wir stellten ihr wenigstens eine Kerze aufs Grab, damit es so wirkte, als würde es doch jemanden geben, der an sie denkt. Schon während der ganzen Zeit auf dem Friedhof, hörte man aus der Ferne die Klänge des Neu-Isenburger Posaunen-Chors, der jedes Jahr zu Heilig Abend auf dem Vorplatz der Friedhofskapelle aufspielte. Das fand ich immer toll, egal in welchem Alter. Die Musik spiegelte natürlich nicht den von mir bevorzugten Musikstil wieder, war aber einfach total passend und stimmungsvoll. Wenn es dann noch schneite, war das Kitschprogramm perfekt, und man bekam nicht nur von der Kälte eine Gänsehaut.

Dann endlich nach Hause. Ins Warme und näher an die Geschenke. Aber das mit den Geschenken zog sich noch etwas hin. Erst einmal musste das Essen zubereitet werden. Das ging recht zügig von statten, da der Kartoffelsalat fertig war und das Rumpsteak nicht lange brauchte. Die Familie saß gemeinsam am Tisch, und die angespannte Stimmung des Tages verlor sich langsam in gefräßiger Stille.

Nach dem Essen wurde es dann spannend. Mein Vater entschwand durch die Flurtür in das Wohnzimmer, entzündete die Kerzen am Baum, was man durch die Milchglasscheiben der Schiebetür schemenhaft erkennen konnte und läutete das erlösende Glöckchen. Nun endlich öffnete sich die Schiebetür und gab den Blick frei auf den sorgfältigst geschmückten Christbaum und die verpackten Geschenke drum herum.

Die Kinder holten die Geschenke für die Eltern von irgendwo her, denn die waren ja nicht, wie die Geschenke der Eltern an die Kinder, bereits unter oder um den Weihnachtsbaum platziert. Zu jener Zeit gab es noch nicht das ganze Jahr über irgendwelche Spielsachen geschenkt. In heutiger Zeit brauchen Kinder ja einen Lagerraum für die Spielsachen, die sie zu jedem Anlass oder auch ohne, geschenkt bekommen. Damals war das noch die Erfüllung so manchen lang gehegten Traums. Eine Flasche Sekt wurde geköpft, und man stieß auf eine frohe Weihnacht an. Ich in diesem Fall mit Limonade, die es zu diesem Anlass in unserem Hause ausnahmsweise mal gab.

Weihnachten mit Schwestern und Mutter. Es gab den geliebten Roller und den noch vielmehr geliebten Teddybär (bei meiner Mutter auf dem Schoß), der mein ein und alles war, bis zur Pubertät.

Man hatte tatsächlich den Eindruck von einer friedlichen Weihnacht. Vielleicht war es für meine Eltern auch ein Moment, das vergangene Jahr revuepassieren zu lassen, denn man konnte froh sein, dass das Jahr ohne größere Katastrophen für die Familie vergangen war. Zumindest in meiner Kindheit war das so.

Am ersten Weihnachtsfeiertag fand dann das große gemeinsame Essen statt. Der Familienkreis erweiterte sich mit den Jahren um die Partner meiner Schwestern. Es gab immer einen großen Vogel. Wenn es keine Gans war, dann war es eine Pute. Letztere wurde aber recht schnell wieder aus dem Repertoire gestrichen, da das Fleisch zu trocken war, und es war zu viel dran am Vogel. Man musste dann noch tagelang Pute essen. In einem Jahr gab es auch mal gar keinen Vogel. Meine Mutter hatte vergessen, den Plastikbeutel mit den Innereien aus der Gans zu nehmen. Das hatte zur Folge, dass die komplette Gans inclusive der erzeugten Soße ungenießbar wurde. Es wurde kurzerhand der für die Folgetage vorgesehene Rinderbraten zubereitet, was den Beginn des Essens um drei Stunden verzögerte. Man hatte aber reichlich Soße. Die brauchte man damit die Klöse was zu trinken hatten.

Die Klöse waren „Hersfelder Klöse“, nach dem Rezept meiner Oma. Traditionell gibt es diese Klöse bis zum heutigen Tag an Weihnachten. Also auch wieder in den nächsten Tagen. Heute hat man da einige nützliche elektrisch betriebene Helfer. Damals gab es die nicht. Die Zubereitung der Klöse nimmt schon mal zwei Stunden in Anspruch, je nachdem, wie viele Esser es zu versorgen galt. Meine Mutter schälte ca. 3kg Kartoffeln. Ein Viertel davon wurde gekocht und Dreiviertel mussten gerieben werden. Von Hand versteht sich. Ebenso wurden dann die geriebenen Kartoffeln durch einen Leinensack gepresst, um das Wasser heraus zu bekommen und die Kartoffelstärke zu sammeln. Man erinnert sich vielleicht. Es handelte sich um jenen Sack, der so aussah, wie die Badehose von Klaus, dem Verlobten meiner Schwester. Ein altes Brötchen wurde eingeweicht und ausgedrückt. Die gekochten Kartoffeln durchgepresst. Alles zusammen in eine Schüssel. Ein Ei dazu. Knoblauch, Salz, Pfeffer und viel Majoran beigemischt und alles gut verknetet. Man rechnete ein Pfund ungeschälte Kartoffeln pro Klos. Ja, so ein Klos war ziemlich groß und so mancher verdrückte zwei davon.

Klöse und Soße waren das eigentliche Highlight des Weihnachtsessens. Kein Highlight war jedoch die Menge an anfallendem Geschirr. Hier gab es natürlich eine klare Verteilung der Aufgaben. Die Männer, auch die kleinen Männer, genossen. Die Frauen kümmerten sich um die Küche. Irgendwann war alles geschafft. Man fand sich wieder im Wohnzimmer zusammen und dank einiger Spirituosen, die es sonst im Jahr nicht gab, kam auch eine gute, friedliche und fröhliche Stimmung auf.

Frohe Weihnachten.


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