2) Gedanken, die immer wiederkehren

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Vor nicht allzu langer Zeit musste ich einen Termin in einer Nachbarstadt wahrnehmen. Die Strecke dort hin bin ich mit Sicherheit schon hundert mal gefahren. Jedes Mal fällt mir ein Hinweisschild auf eine Gedenkstätte auf und immer denke ich, dass die Erde an dieser Stelle von völlig unnötig vergossenem Blut getränkt wurde, da das Ende des Krieges kurz bevor stand. Aber Dank einiger strammer Deutscher wurde weiter gemordet.

Quelle: Arbeitserziehungslager Hirzenhain – Wikipedia

Im März 1945 wurden an genau dieser Stelle in der Nähe von Hirzenhain (Wetterau) 87 Gefangene von der SS erschossen.

Am 23. März 1945 standen Truppen der 3. US-Armee vor Wiesbaden und Mainz. Am 24. März erreichten sie Darmstadt und am 25. März die südlichen Stadtteile Frankfurts. Am Nachmittag des 25. März hob eine Gruppe männlicher Häftlinge unter Aufsicht der SS-Männer des Vorauskommandos etwa 800 m vom Lager entfernt eine Grube aus. Die Arbeiten blieben der Bevölkerung nicht verborgen. Zwei Gruppen, die Frauen aus dem Frankfurter Gestapolager zuerst und nach fünf Uhr die aus dem Lager ausgewählten Häftlinge, wurden von SS-Männern aus dem Lager geführt. Die Gruppen warteten im Wald, während jeweils zwei Häftlinge aus dem Wald gezerrt und in die nachmittags eigens dafür ausgehobene Grube gestoßen wurden. Dort schossen Emil Fritsch und junge volksdeutsche SS-Männer mit Maschinenpistolen auf die Häftlinge. Kriminalkommissar Anton Wrede meldete später seinem Vorgesetzten: „Die Angelegenheit mit den Russenweibern ist erledigt.“ Es wurden 81 Frauen und sechs Männer ermordet.

Die Hauptverantwortlichen wurden nie bestraft. Allein der Schütze mit dem niedrigsten Rang musste ins Gefängnis. Erst Anfang Mai erfährt die US-Armee offiziell von dem Verbrechen. Männer aus Hirzenhain, aber auch aus umliegenden Orten wie Gedern, müssen das Massengrab wieder ausheben. Die Toten werden am 10. und 11. Mai in Notsärgen auf dem Hirzenhainer Erweiterungsfriedhof beigesetzt.

Quelle: Arbeitserziehungslager Hirzenhain – Wikipedia

In so ziemlich jeder Ortschaft in der Umgebung trieben die Wahnsinnigen bis zum Ende ihr Unwesen. So mancher hatte sein Leben nur dem Zufall oder der panischen Flucht von plötzlich zivil gekleideten sadistischen Mördern zu verdanken. Jene, die sich hier im „Kleinen“ zu den reinrassigen Herrenmenschen zählten, die über wertes und unwertes Leben per Handstreich entschieden. Nach Kriegsende waren sie alle nicht mehr da. Wie kann das sein?

Mein Vater erzählte mir von seinen letzten Kriegstagen. Sein Vorgesetzter hatte an der östlichen Front die Aussichtslosigkeit weiteren Blutvergießens erkannt. Es drohte die Einkesselung. Er gab den Befehl an seine Leute der drohenden Einkesselung zu entkommen und sich nach Westen in amerikanische Gefangenschaft abzusetzen, um Tod oder russischer Gefangenschaft zu entkommen. Danach erschoss er sich.

Die Einen ließen an der Front ihr Leben oder gingen in Gefangenschaft, während die Anderen sich einfach verpissten und ihr Leben weiter lebten. Teilweise gut vernetzt und unbehelligt, fanden viele schon bald wieder lukrative Posten in Verwaltung und Wirtschaft.

Die, die aus der Gefangenschaft kamen, das Grauen an der Front überlebt hatten, waren zum größten Teil von dem Geschehenen traumatisiert. Es gab keinerlei psychologischen Beistand. Man musste damit zurecht kommen.

In einem Nachbarort flüchteten eine Hand voll SS-Leute kurz vor Kriegsende vor den herannahenden Amerikanern. Sie versteckten sich in einer Scheune um nicht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Angst um ihre blanke Existenz, hinderte sie nicht daran, die Dorfbevölkerung weiter zu terrorisieren und mit dem Tod zu bedrohen, wenn sie ein weißes Tuch aus dem Fenster hängen wollten. Auch dieses Grüppchen war dann irgendwie verschwunden und wurde nie zur Rechenschaft gezogen.

Es war einfach nur mordlustiges Pack. Terroristen. Genau so wie man heutzutage unter dem Banner einer Religion der Mordlust und dem sadistischen Quälen frönt, war es hier eben die Ideologie der Herrenrasse. Diese Menschen bekamen nach dem Krieg zwar auch keinen psychologischen Beistand, was aber in deren Fall eher zur Folge hatte, dass die Saat in ihren Köpfen gut erhalten blieb und weiter gestreut werden konnte. Die strafrechtliche Konsequenzlosigkeit ihres Handelns hatte für sie ihr Tun während der NS-Diktatur gerechtfertigt und gab ihnen ein gutes Gefühl.

Einigen dieser Menschen bin ich in meinem späteren Leben öfter mal begegnet. Teilweise waren sie anfangs schwer zu erkennen, teilweise jedoch handelten sie völlig offen und eindeutig.


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