Als meine älteste Schwester ins heiratsfähige Alter kam, war ich immer noch ein Kind. Auch für sie endete die Zeit der Partys mit dieser merkwürdigen Rock and Roll Musik. Vorgeführt von irgendwelchen gegelten Typen in viel zu engen Hosen und mit merkwürdigen Frisuren. Und dann noch diese komischen Bewegungen, die die da so machten, wenn sie das, was sie als Musik bezeichneten darboten. Zumindest stellte sich die Situation für meinen Vater genau so dar. Musik, das war für ihn, „Ernst Mosch und die original Egerländer“ oder die „Don Kosaken“. Es sollte für ihn noch viel schlimmer kommen, was er sich aber zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht vorstellen konnte.
Wenn meine Schwester zu einer Tanzveranstaltung wollte, musste schon frühzeitig das entsprechende Outfit in unserem Briefkasten, der am Gartenzaun befestigt war, versteckt werden. Man ging also züchtig gekleidet aus dem Haus, entfernte sich gebührend weit aus dem Blickfeld der Eltern, wartete ein Weilchen und ging dann zurück, um die Sachen aus dem Briefkasten zu holen. Später wurde sich dann irgendwo, bei irgendwem umgezogen, und man konnte standesgemäß auf der Tanzfläche erscheinen.
Mein zukünftiger Schwager, also ihr zukünftiger Ehemann, war schon seit dem sie 16 Jahre alt war aktuell. Ein ganz passabel aussehender junger Bursche, der auch recht ordentlich daher kam. Zeit seines Lebens extrem eifersüchtig, was ihn aber nicht von etlichen Eskapaden abhalten sollte. Wenn er nicht ein echter Frankfurter gewesen wäre, man hätte meinen können, er hätte sizilianisches Blut in seinen Adern. Als meine Schwester während ihrer Lehrzeit in der Werbeagentur Aschke in Frankfurt zu einer Betriebsfeier eingeladen wurde, trieb sich mein Klaus, wie mein Schwager hieß, die ganze Zeit vor der Werbeagentur herum. Er wollte einen Blick durch die Fenster erhaschen, damit sich meine Schwester nicht einem Kollegen hin gibt. Das war wohl was er erwartete. Völlig aus der Luft gegriffen, denn etwas treueres als meine Schwester, findet man selten. Nur so am Rande. Die Lehrstelle bei der Werbeagentur hatte meine Schwester, Willi dem Freund meiner Eltern, Sie erinnern sich vielleicht, der der die 5000 Mark beim Rumdrehen im Schlaf verdiente, zu verdanken.
Irgendwann war dann auch mal der Zeitpunkt gekommen, dass der Verlobte in spe, in unserem Haus verkehrte. Im Sommer konnte man ihn sogar in seiner Badehose in voller Schönheit bewundern. Seine Badehose glich allerdings exakt dem Beutel, in dem meine Mutter den Kloßteig ausdrückte, um das überschüssige Wasser zu entfernen. Dieser Anblick musste mich wohl dazu animiert haben, ihm mal ordentlich ins Gemächt zu greifen und dabei auf die Ähnlichkeit mit dem Kloßbeutel hinzuweisen. Ein echter Lacherfolg. Für alle, außer für Klaus.
Erst wurde sich ordentlich verlobt. Da kam auch schon mal ein ordentlicher Teil an Aussteuer zusammen. Wie das halt damals so war. Es wurde ein Plan gefasst, wie man das gemeinsame Wohnen gestalten wollte. Nach der Hochzeit versteht sich. Dieser Plan beinhaltete leider, dass meine Untermietoma, Frau Diewisch, ausziehen musste.
Als das geschehen war, wurde die Wohnung für das junge Glück hergerichtet. Da Klaus ja der Familie entsprang, die komplett im Hessischen Rundfunk verankert war, konnte man auch auf diverse alte Kulissenteile als Baumaterial zurück greifen. Alle noch in Schwarz-Weiß. So prangte später mitten im Zimmer, „Big Ben“ als Verkleidung für den Kaminschlot. Das sah echt klasse aus. Es wurde eine eigene Toilette gegenüber der Küchenspüle eingebaut, damit man sich dafür nicht das Bad mit den restlichen Familienmitgliedern teilen musste. Noch fand Schlafen und Wohnen im gleichen Zimmer statt. Selbstverständlich erst nach der Vermählung.
So geschah es dann auch bald. Sie wurden ein Ehepaar und zogen ein. Meine Schwester Helga hatte nun das Mädchenzimmer für sich allein. Dieses Zimmer sollte schon bald meine Neugier wecken und gewisse Begehrlichkeiten auslösen. Dazu später mehr. Ich behielt mein kleines Zimmer. Bekam aber das Schrankklappbett meiner Schwester Helga. Man konnte das Bett hoch klappen, danach sah es aus wie ein Schrank und hatte den Vorteil, dass es dann mehr Platz zum Spielen gab.
Bald schon bekam ich in meinem Klappbett die rauhe Wirklichkeit des Ehelebens über mir zu hören. Im Wesentlichen ging es um ein ausgeprägtes Bedürfnis nach sexueller Betätigung von Seiten des Ehemanns, die von Seiten der Ehefrau, sehr zu seinem permanenten Verdruss, nicht ausreichend erfüllt wurden. Es wurde bemängelt, dass der Gatte ständig in Unterhosen herumlief oder herumsaß. Das Ganze fand in einer Zeit statt, in der ich sowieso von einer permanenten Grundangst getrieben war. Abends mussten in meiner Phantasie Winnetou und Old-Shatterhand als Beschützer in meinem Zimmer sein. Ich nässte in der Nacht mich sehr oft ein. Daher wurden die ehelichen Geräusche von mir eher als bedrohlich empfunden.
Die jüngere Schwester Helga war ja auch neun Jahre älter als ich, und zu dieser Zeit auch schon viel unterwegs. Die Städtepartnerschaft von Neu-Isenburg und Hemel Hempstead hatte sie schon in frühen Teenagerjahren nach England gebracht. Meistens mit dem Schwimmclub und vielleicht auch mit der Schule. Keine Ahnung. Jedenfalls hatte sie von ihren Reisen immer Souveniers mitgebracht, die meine Neugier weckten. Es gab drei Puppen. Ungefähr in Barbiegröße. Eine stellte die Reitergarde dar, eine Andere die Palastwache im roten Rock und mit Bärenfellmütze. Die dritte Puppe war nicht so interessant, da man ihr nicht den goldenen Helm der Reitergarde oder irgendwelche Klamotten ausziehen konnte. Die Puppen und andere Souveniers hatte ihren Platz in einem Schrank aus dunklem Holz, der in der Mitte den Teil mit der Vitrine hatte. Man konnte die Glasscheiben nach rechts oder links schieben damit man Zugang zu den Exponaten hatte. Drunter zwei Schubladen und ein Regal mit zwei Türen. Rechts und links hatte der Schrank Platz für Kleidung. Ich weiß nicht, wie sie es machte, aber sie wusste jedes mal, dass ich mit irgend etwas aus diesem Schrank gespielt hatte. Die Folge war ein entsetzliches Donnerwetter. Die Hormone halt.
In die Wohnung der Jungvermählten waren auch Dinge eingezogen, die mich interessierten. So das Kleinkalibergewehr, das fortan in einen Postsack gewickelt hinter dem Vorhang stand. Eine stattliche Sammlung von Schallplatten des Komikers „Herbert Hisel“ und eine Sammlung von Schallplatten mit anzüglichen, leicht pornografischen Liedtexten, die gerne mal bei einer der Feiern, die in der Wohnung statt fanden, aufgelegt wurden.
So ging es dahin. Für mich war die Zeit als Frau Diewisch über mir wohnte, schöner.
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