13) Die Freunde meiner Eltern

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Die Freunde meiner Eltern stellten einen ziemlich weit gefächerten Querschnitt der Bevölkerung dar. Am Anfang waren es in erster Linie die Freunde in Bad Hersfeld und teilweise Kriegskameraden meines Vaters. Da gab es den Heinrich aus Sprendlingen und seine Frau. Heinrich war wohl im Krieg zusammen mit meinem Vater untergebracht. Er zeichnete sich durch eine sehr tiefe, beeindruckende Stimme aus. Im Krieg muss er wohl mal einen Nagel verschluckt haben, als man Bier aus der Flasche trank und den Nagel nicht bemerkt hatte. Muss wohl irgendwie gut ausgegangen sein, denn sonst hätten er und seine Frau nicht die Kantine in der Sehring Kiesgrube betreiben können. Dort bekam ich immer was Süßes geschenkt und durfte hinter den Tresen. Das war spannend. Später, als sie die Kantine nicht mehr betrieben und ein Fischgeschäft in Sprendlingen unterhielten, flauten die Treffen mit meinen Eltern merklich ab.

Ein anderer Kriegskamerad hieß Werner und wohnte in Wuppertal. Dieser Werner arbeitete in einer Schokoladenfabrik. Das machte einen Besuch mit meinem Vater äußerst attraktiv für mich. Aber weit gefehlt. Außer einer einzigen Tafel Schokolade, an der mein Vater noch mitaß, gab es nix zu holen. Die große Schokoladenflut, auf die ich eingestellt war, fiel aus. Dafür fuhren wir mit der Schwebebahn. Ein einzigartiges öffentliches Verkehrsmittel, dass ich so nur von Wuppertal kenne. Es hat mich jedenfalls sehr beeindruckt.

Mein Vater mit Kameraden am Strand von Mariupol (Ukraine)

Willi und Henni aus Zeppelinheim. Der, der die Werbeagentur unterhielt und wie bereits erwähnt, unglaublich viel Geld verdiente, da er die Werbeanzeigen in allen renommierten Zeitschriften bediente. Bei einem Besuch in seiner zweiten Villa in Zeppelinheim entdeckte ich auf seinem Schreibtisch ein Objekt meiner Begierde. Der Schreibtisch stand auf einer erhöhten Fläche im hinteren Teil des lichtdurchfluteten Wohnraums mit Blick auf die Terrasse und den gepflegten Garten. Da stand ein Modellhaus von Faller in Baugröße HO. Ein Abbild eben jener Villa, in der ich mich befand. Das Häuschen war so wunderschön. Gar nicht so verbappt wie die Häuschen, die ich meist mit Uhu für meine Modellbahn zusammenschusterte. Damals war ich noch nicht so der geduldige und akribische Modellbauer wie später. Wer sich´s leisten konnte, konnte zu jener Zeit einige Modellhäuser auch noch fertig gebastelt und nicht als Bausatz kaufen. Irgendwie hatte ich es jedenfalls geschafft, ein Gespräch in Richtung meiner Modelleisenbahnanlage zu lenken und dass das schöne Modell genau die richtige Baugröße hatte. Und das Unerwartete geschah. Willi schenkte mir dieses Häuschen. Das es sich hierbei um ein Modell eines Hauses handelte, in dem ich mich schon einmal aufgehalten hatte, spielte später leider keine Rolle mehr.

Seine Frau Henni hatte natürlich einen Führerschein und ein eigenes Auto, was sie in die Lage versetzte auch mal spontan tagsüber meine Mutter zu besuchen um zu plaudern und ein Gläschen oder Tässchen Dies und Das zu trinken.

Apropos Führerschein und eigenes Auto. Die Frau Fröhlich (oder auch Fraa Frehlisch) ein paar Häuser weiter, hatte auch eine Fahrerlaubnis und ein Auto. Einen roten FIAT 500. Wenn besagte Fraa Frehlisch in ihrem Auto saß, sah es aufgrund ihrer Körperfülle immer etwas so aus als hätte man sie eingedost. Wenn meine Mutter und sie eine Spritztour nach Frankfurt machten, verstärkte sich dieses Bild noch zusätzlich, da meine Mutter auch nicht gerade die aller Schlankste war. Für die Fülligkeit meiner Mutter und auch die Krampfadern, war selbstverständlich ich schuld, da beides vor meiner Geburt nicht vorhanden war, wurde behauptet.

Dann gab´s da noch die Beckers aus Frankfurt Sachsenhausen. Er war bei der Polizei in Frankfurt tätig und sie war zu Hause. Für mich war er immer die Verkörperung von Recht und Ordnung und sie verkörperte nichts. Eine völlig neutrale Person, die einen weder zu Zuneigung denn zu Abneigung animierte. Die Freundschaft währte lange und war dann als ich ca. 18 Jahre alt war, plötzlich beendet. Ein Neffe der Beckers sollte zu dieser Zeit auch in den Polizeidienst eintreten und kam zur Mord-Kommission in Frankfurt. Damit kam er aber nicht zurecht. Begann das Erlebte nieder zu trinken und fuhr im Suff mit seinem VW-Käfer einem anderen Verkehrsteilnehmer hinten drauf. Führerschein weg, Polizeikarriere beendet. Für mich hatte es den Vorteil, dass ich den Käfer geschenkt bekam und nach der Reparatur mit Teilen vom Schrottplatz, mein erstes Auto wurde.

Meine Hochachtung vor der Polizei ließ erst nach, als ich eine Dokumentation über ihre Rolle im zweiten Weltkrieg sah. Polizeieinheiten wurden in die besetzten Gebiete entsandt, um dort für Recht und Ordnung zu sorgen. Sie waren dabei auch für die Erschießung von Männer, Frauen und Kindern zuständig, die nicht in das nationalsozialistische Weltbild passten.

Die wichtigsten Freunde waren jedoch die Eltern des Freundes und späteren Mannes meiner ältesten Schwester. Die Familie hatte ebenfalls drei Kinder, nur umgekehrt. Es gab zwei Söhne und eine Tochter, während ja meine Familie zwei Töchter und einen Sohn hatte. Der älteste Sohn war nun halt der Freund meiner Schwester. Der zweite Sohn hatte eine Behinderung, die sich nur in Form von Hässlichkeit äußerte und ihn sonst nicht weiter beeinträchtigte. Die Tochter Gabi war drei Jahre älter als ich. Der Vater, Anton, arbeitete beim Hessischen Rundfunk als „Ingenieur“. Auf den Ingenieur legte er größten Wert, obwohl er eigentlich keiner war. Er war nämlich eigentlich staatlich geprüfter Maschinenbautechniker und wurde, wie das damals oft gehandhabt wurde, von seinem Arbeitgeber zum Ingenieur erkoren. Mir ging es übrigens genauso, als ich für die Höchst AG gearbeitet hatte. Meine Eltern jedenfalls wurden nicht müde, bei jeder Gelegenheit klarzustellen, dass er kein studierter Ingenieur war. Irmgart, seine Frau war nett, hatte aber unter Alkoholgenuss ein etwas merkwürdiges Verhalten. Ich komme darauf im Kapitel „Urlaub in Italien“ zurück.

Der Hessische Rundfunk wurde dann später nicht nur der Arbeitgeber von Anton, dem Ingenieur, nein, auch von meinem Schwager Klaus, dessen Bruder Lothar und sogar meine älteste Schwester Ute. Lediglich die Tochter Gabi arbeitete als Technische Zeichnerin bei der Firma LURGI. Aber auch hier gab es eine Schnittstelle zum Hessischen Rundfunk. Als selbiger eine Art „Telekolleg Technisches Zeichnen“ produzierte, wurde just jene Gabi die Protagonistin.

Die zweite Familie hatte nur eine Tochter, die auch Gabi hieß und ein paar Monate älter war als zuvor genannte Gabi. Harald und Anneliese wohnten nicht weit entfernt von Anton und Irmgart in einer Vier Zimmer Wohnung, ebenfalls im Dornbusch in Frankfurt am Main. Harald war selbstständig und hatte eine kleine Firma in Frankfurt Seckbach. Er hatte unter anderem die Gläserspülmaschine für Kneipengläser erfunden und vertrieb diese mit Erfolg. Das einfache Prinzip der Maschine, die mit den durch Druck auf das zu spülende Glas rotierenden Bürsten und die einfache Aufstellung in der Tresenspüle hatte viele Kneipenbesitzer überzeugt. Aus seiner Werkstatt stammte auch die erste „Waschmaschine“ meiner Mutter. Es handelte sich um ein Gestell, dass mit Wasserkraft betrieben, mehrere Paddel hin und her bewegte. Das Ganze wurde einfach in den Waschkessel eingehängt und ersetzte fortan das Stampfen der Wäsche. Einfach und genial. Er war ein schöner Mann mit weltmännischem Auftreten. Seine Frau war in erster Linie gepflegt und eben seine Frau.

Diese beiden Familien und unsere Familie unternahmen im Wesentlichen das Meiste zusammen. Und so blieb das auch bis zum Tod meines Vaters im Jahre 1979.


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