Mein Vater hatte es tatsächlich in amerikanische Kriegsgefangenschaft in der Nähe von Bad Hersfeld geschafft.

Das war für ihn ein Glücksfall in mehrerlei Hinsicht.
Erstens war er in der Nähe seiner Familie. Meine Mutter und er hatten sich vor Ausbruch des Krieges in Bad Hersfeld kennen und lieben gelernt. Er war auf Anraten seines Vaters Berufssoldat geworden und als Schirrmeister für die Wehrmacht in Bad Hersfeld stationiert. Dort war ihr Lebensmittelpunkt und hier wurden auch meine zwölf und neun Jahre älteren Schwestern geboren.
Zweitens konnte er sich Hafterleichterung verschaffen, da er aufgrund seiner Englischkenntnisse als Dolmetscher für die Amerikaner tätig sein konnte. Mein Vater hatte Abitur, war aber trotzdem Friseur geworden, da er nach seiner soldatischen Laufbahn ein renommiertes Friseurgeschäft in Frankfurt am Main übernehmen sollte. Daraus wurde nichts, da das Friseurgeschäft einem Bombenangriff zum Opfer fiel. Sein Vater war stellvertretender Bürgermeister von Neu-Isenburg, besaß eine große Weitsicht und die Familie galt als wohlhabend. Die Tätigkeit als Dolmetscher sollte künftig für meinen Vater noch von großem Vorteil sein.
Nach der Haftentlassung lebte die Familie noch bis 1953 in Bad Hersfeld in der Nähe der Eltern meiner Mutter.
In Neu-Isenburg jedoch stand das Elternhaus von meinem Vater. Eine Reichs-Heimstätten Doppelhaushälfte. Drei Straßenzüge gab es mit diesen praktisch geschnittenen Doppelhäusern, die alle gleich waren und sich nur durch Kleinigkeiten unterschieden. Im Vorgarten hatte jedes Haus ein einbetoniertes Rohr. Hier wurde in der NS-Zeit zu besonderen Anlässen der Fahnenmast mit der Hakenkreuzfahne reingesteckt.
Direkt nach Kriegsende war der westliche Teil von Neu-Isenburg von den Amerikanern besetzt und die Häuser mit allem drin und drum wurden beschlagnahmt.
Die Eltern meines Vaters waren zwischenzeitlich gestorben. Somit erbte er ein beschlagnahmtes Haus.
Da er der Meinung war, dass die Beschlagnahme ja nicht ewig dauern kann, trieb ihn der Gedanke um, was dann wohl mit dem Haus passieren würde. Also ging er nach Neu-Isenburg, suchte eine Wohnung für die Familie und eine Arbeit. Beides gelang ihm relativ schnell, so dass er die Familie nachholen konnte. So wohnten meine Eltern und meine zwei Schwestern in einer relativ kleinen Zweizimmerwohnung in einem noch heute existierenden Wohnblock. Von hier aus hatte er die Beschlagnahmesituation gut im Blick. Der neue Arbeitgeber war die Firma Schleussner, Hersteller von Foto und Film Artikeln, der größte Arbeitgeber in Neu-Isenburg. Die Firma Schleussner wurde dann später von der Firma ADOX (Hersteller u.a. von hochwertigen Kameras) übernommen. Die Firma ADOX wurde von DuPont geschluckt und produzierte dann Röntgenfilme bis der Standort aufgegeben wurde. Mein Vater war bis zur Rente immer dabei. Heute ist von alldem nichts mehr zu sehen.
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