4) Ich werde ich, im zweiten Versuch

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1954 begab es sich, dass sexuelle Handlungen meiner Eltern zu unerwünschtem Erfolg führten.

Eine unmögliche Situation. Noch ein Kind in der kleinen Zweizimmerwohnung. Das geht nicht.

Meine Mutter und mein Vater beschlossen daher, dass dieses Kind nicht ausgetragen werden könne.

Zu dieser Zeit gab es Herrn Dr. W. der Allgemeinmediziner mit angeschlossener Gynäkologischer Abteilung (ein Nebenzimmer mit Schiebetür). Also wurde er aufgesucht und mit der Entfernung der Leibesfrucht beauftragt. Diese verschwand dann wahrscheinlich in dem 40cm hohen beigen Mülleimer mit pedalbetriebenem Chrom-Deckel, in dem alles verschwand, was in der Praxis zu entsorgen war. Das Geräusch des sich schließenden Deckels klingt heute noch in mir nach, da ich als Kind sehr oft in dieser Praxis behandelt wurde.

Herr Dr. W. gab meiner Mutter noch die Information mit auf den Weg, dass der Abort ein Junge war. Das war ein Schock. Erst Recht für meinen Vater, der schon bei der Geburt meiner Schwestern immer einen Stammhalter erhofft hatte. Jetzt war der Stammhalter in der Tonne.

Wenige Monate später war meine Mutter erneut schwanger. Die Situation der Familie hatte sich seit dem letzten Mal in so fern verändert, dass nun auch noch der Schwager meiner Mutter aus Bad Hersfeld mit in der Zweizimmerwohnung lebte. Er war auch auf der Suche nach Arbeit und Wohnung.

Also führte der Weg wieder zu Herrn Dr. W.. Dieser erteilte meiner Mutter jedoch eine Abfuhr, da eine Abtreibung nach so kurzer Zeit nicht möglich war. Das war wieder ein Schock für meine Eltern, denn jetzt hatten sie mich an der Backe.

Meine Eltern sprachen u.a. mit einem befreundeten Ehepaar aus Bad Hersfeld über die desaströse Situation. Dieses befreundete Ehepaar war kinderlos geblieben und würde es auch immer bleiben. Keine Kinder, aber Wohlstand aufgrund eines Geschäftes für Nähmaschinen und später Fahrrädern in der Nähe des Marktplatzes in Bad Hersfeld.

Somit wurde der Plan gefasst, dass ich nach meiner Geburt für einen Betrag von 10.000,-DM in die Obhut des befreundeten Paares übergehe. Mein Vater ging davon aus, dass das Glück einen Stammhalter geboren zu bekommen, ihm nicht ein weiteres Mal hold sein würde. Die Tendenz stand statistisch eindeutig in Richtung einer weiteren Tochter, und das Geld konnte man gut für ein neues Auto verwenden.

So war man mit sich einigermaßen im Reinen, da man die Sorgen erst einmal vom Tisch hatte, und man freute sich schon auf das neue Auto.

Dann kam 1955 und Herr Dr. W. brachte mich in der Zweizimmerwohnung ans Licht der Welt.


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