31) Die Filme

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Ich habe die Zeit für ein kurzes Kapitel gefunden. Dann muss es auch raus.

Mein Klassenkamerad und Freund Manfred hatte eine Doppel 8-Filmkamera. Eigentlich gehörte sie seinem Vater, aber der nutzte sie sowieso nie, also ging das Nutzungsrecht stillschweigend auf seinen einzigen Sohn Manfred über. So zumindest sahen wir das.

Manfreds Eltern hatten sowieso so einige Sachen, die unser Interesse weckten. Unter anderem eine Zigarettenstopfmaschine. Da konnte man Zigarettenhülsen mit Filter von vorne mit Tabak stopfen. Das brachte uns auf eine tolle Geschäftsidee. Wir gingen also in den Wald und sammelten Laub. Trockneten es und zerrebbelten es. Dann mischten wir das zerrebbelte Laub mit starkem Tabak der Marke „schwarzer Krauser“ im Verhältnis 75% Laub 25% Tabak. Mit diesem Gemisch stopften wir dann jeweils ca. 100 Zigaretten.

Unsere Werkstatt befand sich im Keller des Mehrfamilienhauses in dem Manfred wohnte. Auf einem Regalbrett vor uns stand ein Kassettenrekorder, der uns mit motivierenden Klängen versorgte. Das Album „Abbey Road“ von den Beatles war gerade topaktuell, genau so wie „Blind Faith“, das einzige Album der Supergroup bestehend aus Ginger BakerEric Clapton und dem britischen Star Steve Winwood. Alles was zu dieser Zeit in der Pop-Szene als die Creme della Creme galt. Wir hörten die Lieder während unserer Geduld abfordernden Arbeit rauf und runter.

Der andere Manfred in unserer Klasse, der mit den schlechten Zähnen, testete unser neues Produkt auf dem Zigarettenmarkt und war begeistert. Er kaufte uns regelmäßig unsere gesamte Produktion ab. War ja auch ein unschlagbar günstiges Angebot. Wenn er dann von der Schule nach Hause fuhr, musste man nur dem Geruch von verbranntem Laub folgen, um heraus zu finden, welchen Weg er genommen hatte.

Jedenfalls ermöglichte uns diese Einnahmequelle, dass wir uns regelmäßig Filmmaterial anschaffen konnten. Eine Doppel 8-Filmrolle kostete schließlich zehn bis fünfzehn Mark, je nach Hersteller. Darin enthalten waren zwar auch die Kosten für die Filmentwicklung, trotzdem war so eine Rolle nie für mehr als vier Minuten Film ausreichend. Bei dieser Art von Film musste nach der Hälfte des Films, die Filmrolle umgedreht werden, um die andere Hälfte nutzen zu können. Das erforderte Sorgfalt und Geschick, da kein Licht während der Prozedur auf den Film gelangen durfte.

Sorgfalt erforderte natürlich auch die Auswahl der Themen, der Handlung und der Akteure. Letztere stammten zu Anfang überwiegend aus unserer Klasse. Auch waren alle Filme Anfangs in schwarz-weiß und ohne Ton. Klassischer Stummfilm halt. Da war darstellerisches Talent gefragt, um die Botschaft zu transportieren. Man konnte auch nicht einfach drauf los filmen und später alles Gute zusammenschneiden. Nein, so wie es später sein sollte, musste es auch gedreht werden.

Drehorte waren überwiegend der Wald oder bei mir zu Hause, denn da war ja tagsüber niemand. Es ging um die Langhaarigen und die Gammler, Drogen, Alkohol und so weiter. Aber es wurde auch schon mal ein Krimi gedreht. Ein besonders bluttriefendes Verbrechen fand bei uns zu Hause im Eingangsbereich statt. Unser Budget erlaubte die Anschaffung einer großen Flasche Ketchup. Diese wurde fachgerecht auf der Granittreppe vor unserer Haustür verteilt, wo die Filmleiche ausblutete. Nach Beendigung der Dreharbeiten begannen wir die Treppe wieder zu reinigen. Leider war das nicht vollkommen ausreichend. Es blieb, selbst nach intensivem Schrubbereinsatz ein bräunlicher Schatten zurück. Die hartnäckige Tomatensäure hatte diesen wohl hinterlassen, und es sah tatsächlich so aus, als wäre da mal eine Unmenge von Blut gewesen.

Meine Eltern staunten nicht schlecht über dieses Phänomen auf den Eingangsstufen. Natürlich leugnete ich vehement irgend eine Ahnung zu haben, wie es dazu gekommen sein könnte. Erst Monate später, als die Sonne und der Regen die Spuren verblassen ließen, habe ich dann meine Schandtat gestanden. Ich wusste ja jetzt, dass es keine bleibenden Spuren geben würde. Mein Gewissen war jetzt erleichtert, und der Kopf wieder frei für neue spannende Filmprojekte.

Das spannendste und gleichzeitig verstörendste Filmprojekt sollte es aber am Schluss geben. Da dann schon in Farbe. Aber dazu mehr im Kapitel „Das UFO“.


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