32) Die Clique

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So mit fünfzehn Jahren wurde aus den Schulfreunden eine Clique. Das hatte im wesentlichen damit zu tun, dass einige Schulfreunde auch andere junge Menschen zu Partys anschleppten. Einige davon teilten die eigenen Ansichten und Interessen. Man war sich irgendwie sympathisch. Mit denen traf man sich dann auch immer öfter, bis man eigentlich ständig zusammen hing. Eine Clique halt.

Mit fünfzehn durfte man auch endlich Mofa fahren. Offiziell. Nicht wie schon vorher unerlaubter Weise. Das Fahrrad sollte so schnell wie möglich gegen ein Mofa ausgetauscht werden. Eine „Garelli“ sollte es sein. Die gab es relativ günstig bei Neckermann. Einige Schulfreunde fuhren eine „Mobilette“ oder die total alternativ Veranlagten eine „Velo Solex“, bei der man den Motor auf das Vorderrad klappte. Mofa mit Frontantrieb. Was es alles gab.

Um eine „Garelli“ kaufen zu können, musste also Geld ins Haus. Ich hatte einen Ferienjob bei einem Neu-Isenburger Feinkost-Hersteller ergattert. Hier konnte ich mir in den Winter- und Osterferien das benötigte Geld verdienen. In den Winterferien war ich für Lagerarbeiten eingeteilt. Mein „Vorgesetzter“ war ein geistig unterbelichteter, aber sehr netter mittelalter Mann. Der war mit der Aufgabe, mir Aufgaben zu geben, völlig überfordert. Also suchte ich mir meine Aufgaben selbst.

Es war Januar und bitter kalt. Ich hatte mich zuerst zum LKW entladen eingeteilt. Hier bekam ich auch gleich mal einen Eindruck, was man unter Feinkost zu verstehen hatte. Ein LKW mit Gitterboxen voller Fleischwurst, die für den Fleischsalat gedacht war, wurde entladen. Eine Box kippte um. Die Fleischwurst lag im Dreck. Macht nix. Fleischwurst zurück in die Gitterbox und ab in die Produktion. Ich hörte später wie es in der Maschine zum Zerkleinern der Fleischwurst knirschte. Guten Appetit.

So stapelte ich leere Verpackungen, machte mal ein Nickerchen hinter den Kartons oder ging in das Kühlhaus, denn da war es wärmer als im restlichen Gebäude. Außerdem lagerten dort hinter Holzverschlägen die besonderen Spezialitäten. Ich habe nie mehr danach in meinem Leben soviel echten Kaviar gegessen wie dort. Der Winterferienjob war vorbei. Das erste Geld verdient und mein „Vorgesetzter“ dermaßen voll des Lobes, dass man mich quasi nötigte in den Osterferien wieder zu kommen. Sicher war er einfach nur erleichtert, dass er sich nicht um mich kümmern musste.

In den Osterferien dachte ich, dass ich wieder in seine Obhut komme. Leider hatte man andere Pläne. Ich sollte in der Produktion helfen und die Zutaten bereit stellen. In einem riesigen Keller lagerten die Produkte. Fässer mit Heringsfilets, Gurkenstücken, Eigelb und alles, was man sonst so braucht um Mayonnaise, Heringssalat, Fleischsalat, usw. herzustellen. Die Heringe waren in den Fässern in Salz gelagert und mussten von mir und einem anderen jungen Mann auf den Boden gekippt werden. Dann wurden sie mit Wasser ordentlich abgespritzt und zurück in das Fass gegeben. Danach wurde das Fass mit einem Fahrstuhl nach oben in die Produktion gebracht. Das Fass wurde neben einer ziemlich kräftigen Dame auf einem Stuhl neben der Hering-Zerstückelungsmaschine abgestellt. Die Bedienerin nahm jeweils einen Hering aus dem Fass und legte ihn in die Maschine, und am anderen Ende fielen die Stücke wieder in eine große Schüssel. Entweder hatte die monotone Arbeit die Dame in eine Art Hypnose versetzt, oder ihr war einfach nur die Sicht zum Ende der Maschine versperrt. Wer weiß. Jedenfalls lief die Schüssel schon seit geraumer Zeit über und die Heringsstückchen hatten sich bereits selbsttätig auf den Weg in Richtung Gulli gemacht. Irgendwann fiel das jemandem auf. Also wurde alles geschwind aufgekehrt und in eine Schüssel gekippt, wo es dann die Grundlage für die neue Charge Heringsstückchen bildete. Nachdem ich dann noch erleben durfte, wie man mir den kaum merklichen Unterschied zwischen Produkten der eigenen Nase und der Gurkenstückchen demonstrierte, hatte ich die Selbe von dererlei Arbeit voll.

Ich suchte mir dann wieder selbst meine Arbeit. Unter anderem bei meinem „Vorgesetzten“ aus den Winterferien. Es verging eine weitere Woche. Ich wurde ins Personalbüro gebeten. Man zahlte mich aus und teilte mir mit, dass es nicht üblich sei, dass Ferienjobber sich die Arbeit selbst aussuchen. Aus der Produktion hätte man sich beschwert, dass ich dort nicht mehr zu sehen sei. Egal. Das verdiente Geld reichte für die „Garelli“. Und es waren noch Ferien für Testfahrten übrig.

Zwischenzeitlich hatte fast jeder meiner Freunde ein Mofa. Abends, nach Einbruch der Dunkelheit spielten wir „Mofa-Nachlauf“. Wilde Verfolgungsjagten in den westlichen Straßen von Neu-Isenburg. Zu dieser Zeit war mein Mofa, was die Geschwindigkeit anging, noch Konkurrenzfähig. Was ich aber stark anzweifelte. Einer aus unserer Clique, Harald, schien eine etwas selbstzerstörerische Neigung zu besitzen. Das drückte sich sowohl in seinem Fahrstil als auch in seinem exzessiven Alkoholkonsum im Partykeller von Detlef aus. Er durfte, als er sechzehn wurde, eine Party zu Hause feiern. War das schrecklich. Alle meine Freunde und die Mädels waren dermaßen verkrampft aufgrund des Drucks den die Eltern und insbesondere Haralds Vater ausübten. Das ständige unter missgünstiger Beobachtung stehen, ließ die Party zu einem gewaltigen Flop werden. Es sollte auch die einzige in dieser Umgebung bleiben und hatte für Harald zur Folge, dass sich seine selbstzerstörerischen Neigungen noch steigerten.

Drogen kamen ins Spiel und machten ihre Runde in der Clique. Vorwiegend Haschisch und für einen von uns wurde es auch LSD und Opium. Es war nicht Harald, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern Willi, der eigentlich Wilfried hieß und erhebliche Probleme mit seinem Elternhaus hatte. Die Eltern waren liebe Menschen. Der Vater unscheinbar und bastelte gerne mit seinem Sohn an dessen fahrbaren Untersetzen herum. Die Mutter war das Problem. Sie wollte ihren Sohn unbedingt vor dem Bösen in der Welt schützen, was in Willi genau das Gegenteil bewirkte. Er versuchte, wo es nur ging, aus der heilen Welt auszubrechen. Er tat ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit weh, indem er zum Beispiel sich weigerte Weihnachten mit der Familie zu feiern. Wir anderen waren da vielleicht noch zu viel Kind und liebten es, Weihnachten im Kreise der Familie zu feiern. Somit war Willi in dieser Zeit isoliert, und die Menschen auf die er traf, die auch nicht Weihnachten feierten, taten ihm nicht gut.

Meine „Drogenkarriere“ war ziemlich schnell vorbei. Der vierte Joint landete bereits im Mülleimer auf dem Spielplatz in der Jean-Phillip-Anlage, der immer noch unser Treffpunkt war. Unser analoges Whats App sozusagen.

Meine Mutter hatte schon mit Argwohn beobachtet, dass ich plötzlich meine Zigaretten selber drehte. Und dann auch noch so komisch dicke. Sie befahl mir die „Zigarette“ in der Toilette zu entsorgen, da sie erfahren hatte, dass in solch dicken Zigaretten oftmals Haschisch enthalten sei. Ich folgte dem Befehl. Ich hatte den Inhalt von Haschisch natürlich vehement verneint. Das war gelogen. Haschisch war ein teures Gut, das es irgendwie zu erhalten galt. Also öffnete ich den Joint, kippte seinen Inhalt in die Schale der Klobürste und das Papier in den Klo. Meine Mutter prüfte den Klo und bemerkte, dass das Papier noch oben schwamm. Das bestärkte sie in der Ansicht, dass das Gift seinen Weg in die Kläranlage angetreten hatte. Nachdem ich sicher war, dass sie außer Reichweite ist, kippte ich den Inhalt der Klobürstenschale zurück auf ein Stück Pappe, von wo aus man es wieder gut in einen Joint einfüllen konnte. Das war übrigens das einzige Mal, dass die Droge bei mir irgend eine Wirkung zeigte. Ob´s an der Klobürstenschale lag? Wer weiß? Jedenfalls hatte die ausbleibende Wirksamkeit bei mir den Entschluss reifen lassen, dass besaufen einfach wirksamer und in der Öffentlichkeit besser akzeptiert war.

Um noch mal auf´s Mofa zurück zu kommen. Der Film „Easy Rider“ kam in die Kinos und somit auch zu mir und meinen Freunden. Natürlich war auch sofort ein ähnliches Projekt in Doppel-8 von uns geplant. Ich begann direkt nach dem ich von dem Film völlig geflasht nach Hause kam, mit den entsprechenden Umbauarbeiten am Mofa, um ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit den „Harley Davidsons“ im Film zu verschaffen. Mein Vater beobachtete das Treiben und verstand die Welt nicht mehr. Da hat der Junge doch tatsächlich in den Ferien gearbeitet um sich diesen Wunsch zu erfüllen und nun begann er alles systematisch zu zerstören. Schutzblech vorne ab, Sitzbank mit einem über den Kopf hinaus ragenden Bügel dran gebaut. Im Film hatte Peter Fonda seinen Helm mit der Amerikanischen Flagge drauf, kunstvoll auf den Bügel drapiert, um dann mit dem Helm auf dem Bügel und nicht auf dem Kopf durch die Lande zu cruisen. Einen Helm hatte keiner von uns. Ein völlig unnützes Accessoire, wie wir fanden. Vielleicht gerade gut genug um auf den Bügel drapiert zu werden. Dafür aber zu teuer.

Das Mofa musste schneller werden. Die Tuning-Tipps einiger „Experten“ auf dem Gebiet des Frisierens von Zweitaktmotoren befolgend begann ich mein verehrendes Werk. Zuerst wurde der Luftfilter vom Vergaser entfernt und eine größere Benzindüse eingebaut. Das verbesserte auch den Sound durch das lautere Ansauggeräusch. Aus dem Auspuff wurde das gesamte Innenleben entfernt. Das „verbesserte“ den Sound zusätzlich. Und zu guter Letzt wurde der Zylinder abmontiert und die Ein- und Auslasskanäle poliert. Beim Wiedereinbau des Zylinders riss mir jedoch einer der vier Stehbolzen ab. Was soll´s. Geht auch mit drei. So meine fachmännische Analyse. Gebracht hatten die Maßnahmen eine deutlich spürbare Leistungssteigerung. Meine Garelli war die schnellste.

Dieses Glücksgefühl währte ungefähr eine Woche. Danach hatte die Garelli die Schnauze voll. Sie glänzte fortan mit einer Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h. Wurde ich kurz zuvor noch wegen der enormen Schnelligkeit meines fahrbaren Untersatzes bewundert, bewunderte man mich jetzt eher wegen meines enormen Gleichgewichtssinnes. Bei derart geringer Geschwindigkeit nicht ständig umzufallen, war eine echte Glanzleistung. Egal. Die Devise fortan lautete: „Besser schlecht gefahren als gut gelaufen“. Man musste halt etwas mehr Zeit für seine Fahrten einplanen. Mein Freund Manfred wohnte circa in der Hälfte meiner Wegstrecke zur Schule. Er winkte mir immer vom Küchenfenster aus zu, ging dann nach unten, bestieg seine ungetunte Garelli und war dann trotzdem vor mir in der Schule. Auf dem Weg dort hin musste er nur dem Geruch von verbranntem „Curil“, einer Dichtmasse, die ich ständig in den Spalt zwischen Zylinderkopf und Zylinder, der sich durch den fehlenden Stehbolzen gebildet hatte, schmieren musste.

Ich fuhr mit meiner Garelli sogar weitere Strecken. Zu einem Baggersee in der Nähe von Gernsheim am Rhein, zum Beispiel. Hier hatten die Eltern eines Klassenkameraden ein Ferienhaus. Dort durften wir ein Wochenende verbringen. Kurt´s Vater war ein dermaßenes Arschloch und zusätzlich noch ein Kornithenkacker par Excelence. Das hatte sich schon abgezeichnet als ich Kurt einmal und nie wieder zu Hause besuchte. Lässig in der Tür lehnend habe ich seinen Vater begrüßt. Dieser erwiderte meinen Gruß mit den Worten: „Unsere Türen haben stabile Zargen, die muss man nicht stützen“. Und in dieser Art verlief das Wochenende am See. Ständig wurde man ermahnt auf dies und das zu achten und bloß nichts kaputt zu machen. Was für ein Stress. Mein Freund Detlef und ich waren dann auch Sonntags ziemlich zeitig auf dem Rückweg. Ich balancierte auf meiner Garelli nach Hause, Detlef in Ermangelung eines Lebensjahres mit dem Fahrrad. Jedenfalls kam mein schon damals ziemlich übergewichtiger Freund Detlef entspannt und gar nicht außer Puste zu Hause an. Gleichzeitig mit mir.

Eine ebenfalls sehr langsame Reise führte mich und mein Mofa an den Bärensee bei Hanau. Eine Campingwoche mit der Clique. Dieter und ich teilten uns ein Zelt. Willi hatte sein eigenes Zelt und Detlef und noch jemand, dessen Name ich nicht mehr weiß, teilten sich ebenfalls ein Zelt. Ich weiß nur, dass der Nochjemand ein schmächtiger etwas kleinerer Junge war, der auch bald danach unsere Clique verließ, weil ihm die Vorkommnisse zu graß vorkamen.

Dieter und ich lagen abends im Zelt und hörten Radio Luxemburg, dem einzigen Sender mit durchgehend Beat-Musik. Jeden Abend warteten wir bis „Lola“ von den „Kings“ gespielt wurde. Danach schliefen wir. Das war ganz schön so, und es schien sich auch was mit ein paar Mädels aufzutun, bis das Verhängnis seinen Lauf nahm. Das Verhängnis in der Gestalt von Willi.

Teile unserer Clique waren ziemlich regelmäßig in der Stadthalle Offenbach, wenn dort eine Band spielte, die uns interessierte. Wir sahen alle Bands spätestens wenn die Vorband fertig war und die Türen nicht mehr verschlossen waren. Kostenlos. Nur bei „Deep Purple“ kamen wir nicht rein. Sonst bei allen. „Taste“, „Grand Funk Railroad“, „Emerson Lake and Palmer“, „Uriah Heep“, „Ashton Gardner and Dyke“, „Jethro Tull“ usw. usw.. Willi ging dann immer los und kaufte sich Stoff bei irgendwem. Bei einem der Konzerte erwischte er mit Opium vermischtes Haschisch und das war´s dann.

Am Bärensee war noch eine Clique aus Neu-Isenburg. Etwas ältere Jungs rund um „Blasrohr“. Das war der Spitzname von einem der Querflöte spielte und das mindestens so gut wie „Ian Anderson“ von „Jethro Tull“, wie wir fanden. Bei denen war Opium zu haben und Willi griff reichlich zu. Er war dann völlig weggetreten und konnte nicht mehr unbeaufsichtigt bleiben. Er hatte Kerzen in seinem Zelt angezündet und hielt immer die Finger in die Flamme. Er bewunderte die Kälte der Flamme und wir zogen immer wieder seine Hand zurück. So ging das drei Tage und Nächte. Dann hatten wir alle genug davon und reisten ab. Kein Spass mehr, keine Mädels. Nix. Also balancierte ich meine Easy Rider Garelli wieder nach Hause.

Die Dinge rund um Willi eskalierten dann. Er warf nun so ziemlich alles ein was blöd macht. Als ich mit ein paar Freunden in meinem Zimmer feierte, kam Willi vorbei. Auf LSD inclusive Horrortripp. Er stand weinend und völlig verängstigt in meinem Zimmer in einen Teil meiner Übergardinen gehüllt, bis die Wirkung endlich nach ließ. Der Typ hat einfach nur noch genervt. Nach einem halben Jahr war es endlich soweit. Er konnte nicht mehr und suchte sich ärztliche Hilfe.

Im Februar 1971. Endlich sechzehn machte ich zusammen mit meinem Klassenkammeraden Klaus meinen Führerschein für Kleinkrafträder. Vielleicht fragt sich der Eine oder die Andere, woher hatte der eigentlich das Geld für all den Quatsch? Gut, der Führerschein kostete damals nicht viel. Anmeldung, Lehrnmaterial und Prüfungsgebühr. So ca. 100 Mark, das war´s. Ich habe Zeitungen ausgetragen, Samstags Autos gewaschen an der TEXACO Tankstelle in der Nähe. Hier hatte ich einen Stammkunden gewonnen, der bei besonderer Sorgfalt fünf Mark Trinkgeld gab. Den besten Job hatte ich bei der LUFTHANSA Service Gesellschaft am Flughafen Frankfurt. Vermittelt hatte den Job Manfreds Vater, der bei LUFTHANSA arbeitete. Hier musste Manfred und ich Samstags und Sonntags um fünf Uhr morgens die Arbeit aufnehmen und hatten um 16:00Uhr Feierabend. Da hatte man dann an einem Wochenende hundert Mark verdient. Dazu kam noch, dass man bei der Tätigkeit an der Quelle feiner Speisen saß und das in nie zuvor gesehenen Mengen.

Jetzt galt es vom Mofa zum Kleinkraftrad zu kommen. Von 25km/h mit Glück auch mal 40km/h, zu einem Zweirad, das durchaus in der Lage war 100km/h zu erreichen war eine Herausforderung der es sich zu stellen galt. Einziges Problem, ich hatte kein derartiges Vehikel. Manfred hatte inzwischen von seiner Garelli zu einem 2-Gang Moped der Marke „Sachs“ gewechselt. Eine recht alte Möhre, lief aber wie´s Lottchen. Er parkte sein Moped immer an der Turnhalle. Abgeschlossen natürlich. Um zu unserem Pausenkiosk zu gelangen, mussten wir in der Pause immer da vorbei. Eines Tages der Schock. Das Moped war weg. Das Ringschloss durchgepetzt daneben. Auf dem Platz wo das Moped stand, stand nun eine „Ciao“ aber nicht als Mofa sondern als Moped. Das Hinterrad war platt.

Nachdem Manfred den Diebstahl angezeigt hatte, fällten wir einen folgenschweren Entschluss. Wir sehen die Ciao als eine Art Leihgefährt an, solange bis der Schaden beglichen und ein Ersatz vorhanden war. Ich nahm das Moped mit nach Hause, flickte den platten Reifen und schraubte mal eben das Nummernschild von meiner Garelli dran. Die erste Probefahrt brachte fantastische Ergebnisse. Das Moped fuhr über 50km/h. Der Hammer. Manfred und ich hatten vereinbart, dass derjenige der das Moped nutzte, die volle Verantwortung übernimmt, falls man erwischt wird. Manfred sollte in diese Verlegenheit nie kommen, denn das Glück währte nicht lange.

Es war April und ich war mit dem Moped in die Schule gefahren. Es war einfach toll. Der erste Schritt in Richtung höherer Geschwindigkeit. Auf dem Rückweg von der Schule fuhr ich auf der Hauptstrasse, der Frankfurter Straße, in Richtung Heimat. Auf dem Gehweg liefen Ralph-Peter und seine Freundin Angelika und ich winkte ihnen fröhlich zu. Als sich mein Blick wieder in Richtung Fahrbahn richtete, stand da dieser graue Opel quer vor mir auf der Straße. Der war gerade aus dem Opel Autohaus gekommen und konnte die Straße nicht vollständig überqueren. Ich sah noch wie sich meine Hände öffneten um nach den Bremsgriffen zu greifen, da knallte es auch schon. Ich war also ungebremst in die Fahrertür des Opels gekracht. Stieg senkrecht in die Luft. So schilderten es Ralph-Peter und Angelika später. Um dann auf dem Dach des Opel einzuschlagen. Und da war er wieder. Mein Schutzengel. Er musste sich wohl permanent in meiner Nähe aufhalten. Schon oft davor und noch einige Male später in meinem Leben, war er zur Stelle wenn es notwendig war. Dafür kann man gar nicht genug danken.

Wie gesagt. Helm gab es nicht. Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, eine Querschnittslähmung oder ähnliche schlimme Dinge sind anderen Menschen mit einem weniger agilen Schutzengel widerfahren. Ich rollte vom Dach ab auf die Straße. Stand auf. Schüttelte mich. Vielleicht schüttelten mich auch die herbeigeilten Helfer, das weiß ich nicht mehr. Das Moped war nicht so glimpflich davon gekommen. Der im Rahmen integrierte Tank war aufgerissen. Das Vorderrad in Falten am Zylinder des Motors angekommen. Totalschaden.

Es kam die Polizei. Ich war froh, dass ich wenigstens einen adäquaten Führerschein für die Fahrzeugklasse besaß, aber das war´s auch schon. Papiere? „Hab ich zu Hause vergessen“ war die Antwort, wohl wissend, dass es gar keine gab. Zeit gewinnen war angesagt. Ich wurde also gebeten die Papiere am Abend auf dem Revier vorzulegen. „OK, kein Problem“, log ich. Man fragte mich, ob ich einen Krankenwagen brauche. Ich verneinte und man ließ mich gehen. Das Moped wurde sichergestellt. Ich glaube, der Opelfahrer war wesentlich traumatisierter von dem Vorfall als ich.

Ich lief nach Hause. Ein ordentliches Stück Weg von der Unfallstelle. Zu Hause angekommen lief ich in den Garten und öffnete die Wintergartentür. Meine Mutter stand in der Küche am Herd. Ich sagte ihr, dass ich einen Unfall hatte und sie antwortete: „Die gut Hos“. Die neue Cordjeans hatte nämlich am Knie ein ziemlich klaffendes Loch, was mir zuvor gar nicht aufgefallen war. Aber scheinbar war ich in einer derart guten Verfassung, dass der Zustand meiner Hose weit wichtiger war als der Meine.

Der Abend kam. Und damit kam mein Vater von der Arbeit, der Moment der Wahrheit bei der Polizei näher und ein Schmerz im linken Knie. Mein Vater hatte natürlich die Aktion mit dem Moped und dem Tausch des Nummernschildes beobachtet. Er konnte sich relativ einfach Eins und Eins zusammen reimen. Wir fuhren also gemeinsam zum Polizeirevier. Der Polizist fragte mich nach den Papieren. Mein Vater sagte im strengen Ton, dass es jetzt wohl besser sei die Wahrheit zu sagen. Ich schaute beschämt zu Boden und erfand meine Geschichte vom Moped. Dass ein paar Klassenkameraden und ich bei einem Spaziergang in der großen Pause in der Buchenbusch-Schule nahegelegenem Wald, in einer Art Bombentrichter, zusammen mit allerhand anderem Müll, das Moped gefunden hätten. Der Bombentrichter mit Müll gab es dort tatsächlich und die Polizei war dort um das zu überprüfen, erfuhr ich später vor Gericht. Wir hätten die Absicht gehabt das Moped zur Polizei zu bringen, aber ich hätte der Versuchung nicht widerstehen können einmal damit zu fahren. Ja, ich habe das Nummernschild von meiner Mofa benutzt. Alle Beteiligten inclusive mein Vater schienen überzeugt. Ich wurde mit dem Hinweis, dass da noch was auf mich zu käme, entlassen.

Zu Hause angekommen, hatten sich die Schmerzen im linken Knie verstärkt. Die Nacht unter ständigem Kühlen des Knies, war die Hölle. Gleich am nächsten Morgen fuhr mich mein Vater zum ortsansässigen Unfallarzt. Dr. R. sah oftmals mit seiner blutigen Gummischürze einem Metzger sehr ähnlich, seine Art der Behandlung auch. Die Untersuchung ergab Bluterguss unter der Kniescheibe. Das müssen wir punktieren. Ah, ja. Gebrochen war also nix. Was ein Glück, dachte ich. Aber weit gefehlt. Dr.R. rückte mit einer Spritze an, die so groß war, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Wahrscheinlich hätte ich auch nicht gewusst, wofür man so eine große Spritze gebrauchen könnte. Auf der Spritze steckte eine Kanüle, die in meinen Augen eher einem dünnen Rohr glich. Die Narbe des Einstichs kann man heute noch sehen. Er bohrte mir also dieses Röhrchen seitlich ins Knie. Heute würde man die Stelle vielleicht etwas betäuben. Bei Dr.R. geht das auch ohne so einen Weicheierkram. Nachdem er die Spritze drei mal mit Blut gefüllt und in eine Nierenschale entleert hatte, über gab er mich in die Obhut seiner Helferinnen. „So, wir machen jetzt einen Gips drum, damit sich das Knie beruhigen kann. Wenn du Glück hast, müssen wir den nicht nochmal ab machen um nochmal zu punktieren“. Horror. Das darf auf gar keinen Fall passieren. Ruhe, Ruhe. Das Knie braucht Ruhe. Das der Gips das gesamte linke Bein umfasste, fiel mit erst auf, als fleißig weiter und weiter gegipst wurde. Dr.R. kam nochmal und betrachtete das gipsige Meisterwerk, damit nicht irgendwo die Blutzirkulation eingeschränkt wäre. „So, der bleibt jetzt sechs Wochen dran. Rumlaufen kann man damit nicht. Also immer schön im Bettchen bleiben“. Waaaaaas! Das kann ja wohl nicht wahr sein. War aber wahr. Man rief einen Krankenwagen, der mich nach Hause bringen sollte. Die schlecht gelaunten Sanitäter brachten mich dann Heim. Sie klingelten und meine Mutter öffnete die Tür. Das hatte sie wohl nicht erwartet. Der Bub wird mit dem Krankenwagen gebracht. Der arme Bub. Die Sanitäter begrüßten meine Mutter mit den Worten: „So, wir bringen ihnen ihren Langhaardackel wieder zurück“. Meine Mutter ging hoch wie eine Rakete. Ob die Beiden noch ganz dicht seien. Es kommt nicht darauf an, was auf dem Kopf ist, sondern drinnen und da sehe es bei ihnen wohl eher düster aus. Die Sanitäter sichtlich geschockt von der Reaktion meiner Mutter, stellten mich in meinem Zimmer ab und zogen getröpfelt von dannen.

Die Zweiräder um die es in diesem Artikel ging

So, jetzt hatte mich meine Mutter für sechs Wochen in ihrer Obhut. Da konnte ich wenigstens in der Zeit nix anstellen, dachte sie. Sie sollte sich irren. Willi war zwischenzeitlich clean und hatte sich eine NSU Quickly zugelegt. Durch seinen Vater in einen Zustand versetzt, der wahrscheinlich besser war als im Neuzustand. Da war man schon mit circa sechzig Sachen unterwegs. Leider nicht so sehr lange, denn das schöne Moped wurde geklaut. Durch das Geld von der Versicherung und etwas Erspartem, konnte er sich dann eine Kreidler Florett RS zulegen. Nicht die mit 5,35 PS, nein, die mit 6,25PS. Was für eine Rakete. Zur Rakete wurde die Kreidler wieder einmal durch die Hand seines Vaters, der auch immer auf einen äußeren Top-Zustand des Fahrzeugs großen Wert legte. Moped putzen, dafür hatte Willi seinen Vater.

In unserer Clique waren zwischenzeitlich ein paar Gestalten dazu gekommen, die Detlef angeschleppt hatte. Der Eine hatte den Spitznamen „Esso-Stift“, weil er eine Lehre oder sowas in der Art als Tankwart absolvierte. An der Esso Tankstelle eben. Der Andere war „Lucky“. Beide waren Sprösslinge aus zerrütteten Ehen und waren daher mit Gewalt vertraut. Beide fuhren wunderschöne Kreidlers in toller Lackierung, ein Metallic-Lila mit verchromten Seitenblechen und Schutzblechen. Sogar der Scheinwerfer war verchromt. Erstaunlich war, dass bei ihren Kreidlers ein kleines Versicherungskennzeichen das Heck zierte. Normalerweise war bei einem Kleinkraftrad ein ordentliches Nummernschild mit einem Zulassungskennzeichen erforderlich. Der Unterschied in den Versicherungskosten war für Unsereinen gravierend. Das hatte wohl bei Detlev das Interesse geweckt. Man hatte ihm versprochen etwas ähnlich Gutes zu einem günstigen Preis „besorgen“ zu können. Und so war´s.

Mein Freund Dieter zog direkt nach und wurde auch versorgt. So hatten fast alle in der Clique eine Kreidler. Nur Einer nicht, Karl-Heinz. Er war auch noch nicht lange in unserer Clique und tat auch immer so, als wenn er nur dabei wäre weil gerade nix Besseres da war. Er war der Sohn eines Möbelhausbesitzers im Industriegebiet von Neu-Isenburg nahe der Likörfabrik Wagner, wo meine Mutter gearbeitet hatte. Die hatte schon immer erzählt, was man sich so erzählt über seinen Vater und seine Mutter. Dass das Möbelhaus nicht mehr lange Bestand haben konnte war fast jedem klar. Standort schlecht, Verkaufsflächen unattraktiv, Preise hoch. Auch ohne Möbelgiganten, wie es sie heute gibt, als Konkurrenz tickte da die Uhr. Seine Mutter kümmerte sich indes liebevoll zusammen mit zwei weiteren gereiften Damen um den Besitzer eines großen Beleuchtungsladens. Dieser Besitzer war ein dermaßen ekliger und arroganter Fatzke. Keine Ahnung, wie man es in seiner unmittelbaren Umgebung aushalten konnte. Die langen gelblichen Fingernägel und die immer lockere Zahnprothese im eingefallenen und hageren Gesicht, der buckelig gebückte schleppende Gang, die durch die Prothese verursachte feuchte Aussprache,. Horror. Da mußte die Hoffnung auf einen Lohn für die Bemühungen nach dem hoffentlich baldigen Dahinscheiden groß sein. Doch der Typ war unglaublich zäh.

Der Lampenladen zog sich von einer Straße bis in die Parallelstraße und war total verwinkelt. Ständig ging es Treppen hoch oder runter und von einem kleinen Raum in den nächsten. Es hatte mich damals schon gewundert, warum es in einem Lampenladen so dunkel war. Das lag daran, dass der Typ nicht nur eklig, sondern auch noch geizig war. Karl-Heinz arbeite Nachmittags und Abends öfter in dem Laden und hatte mich als seine Unterstützung empfohlen. Prima, da tat sich wieder eine Geldquelle auf. Meine Mutter meinte nur :“Hauptsache, ich muss da nicht hin“. Sie kannte ja die ganzen Geschichten um die drei Damen und das Ekelpaket. Ich montierte zusammen mit Karl-Heinz Lampen zusammen und verkabelte sie. Jahre zuvor wurden da noch Lampen gefertigt und die Maschinen standen noch herum. Genauso standen auch noch offene Dosen mit Gänsefett vom Weihnachtsbraten herum. Zwischenzeitlich ranzig geworden, dienten sie einst als Schmiermittel in der Lampenproduktion. Man kauft doch kein teures Maschinenfett. So ging es auch.

Aber noch war das alles noch nicht geschehen, denn ich lag ja noch flach. Meiner Mutter wurden die zahlreichen Krankenbesuche zwischenzeitlich suspekt. Waren es am Anfang noch die Mädels, die den leicht bekleideten Kranken besuchten, die ihren Argwohn schürten, sollte es schon bald darauf die ständige Anwesenheit dieser merkwürdigen Gestalten in Form von „Esso-Stift“ und „Lucky“ sein. Die zogen hin und wieder noch andere kleinkriminelle Größen in ihrem Schlepptau hinter her. Sie hätte zu gerne gewusst, was da in meinem Zimmer gesprochen wurde. Im Prinzip wurde meine Kreidler klar gemacht. Wenn ich aus meinem Gips schlüpfe, soll das neue Gefährt im Hof stehen. Irgendwann fragte mich meine Mutter einmal, ob mir mein Unfall ausreichend Lehre genug gewesen wäre, um nicht mehr Motorrad zu fahren und lieber für den Auto Führerschein zu sparen. Als ich sie damit konfrontierte, dass das neue Moped schon bestellt ist, war sie derart schockiert, dass sie kopfschüttelnd mein Zimmer verließ und irgendwas von einem Unglück, dass ihr mit diesem Kind widerfahren sei, vor sich hin brabbelte.

Der Tag der Gipsöffnung rückte näher. Dr. R., der Metzger, hatte seine Assistentinnen angewiesen, den Gips aufzuschneiden. Zum Vorschein kam ein bis zur Unkenntlichkeit abgemagertes Bein. Wo waren denn die Muskeln hin? Das sah doch mal ganz anders aus. so wie rechts eben. Dr. R. kam herein. Er fragte mich ob ich denn das Bein bewegen könne und wie weit ich das Knie beugen könne. Ich führte ihm die geringe Bewegungsmöglichkeit unter schmerzvoll verzerrtem Gesicht vor. Er sah mich an, nahm meinen Fuß und schob ihn mit einem Ruck in Richtung meines Gesäßes. Ich schrie auf. Das Bein war vollständig gebeugt. „Na siehste, geht doch“, sagte der Metzger und schickte mich mit Wünschen einer weiterhin guten Genesung, nach Hause.

In der Einfahrt vor der Garage stand das neue Gefährt. Eine Kreidler Florett RS. Es gab das Modell in orange, rot, grau und beige. Alle Farben waren bei meinem Modell vertreten. Sie war also aus mehreren Mopeds entstanden. Sie hatte Papiere von einem Kleinkraftrad in denen Sachen durchgestrichen oder wegradiert waren. Grundsätzlich sahen sie sowieso aus als hätte sie jemand als Klopapier benutzt und dann wieder abgewaschen. Egal ich schrieb meinen Namen rein und besorgte mir ein Versicherungskennzeichen für ein Mokick. So ein Mokick durfte maximal 40km/h fahren und brauchte kein großes Kennzeichen. Unser Nachbar von der Allianzversicherung war auch nicht in der Lage aus den vorgelegten Papieren irgend einen Rückschluss auf die Art des Fahrzeugs zu ziehen. Er glaubte mir also, und ich hatte eine Versicherung und ein Kennzeichen. Mein Freund Dieter kam vorbei und unsere erste gemeinsame Fahrt führte uns in den Nachbarort nach Sprendlingen, wo er ein paar Mädels klar gemacht hatte. In Sprendlingen fuhren wir durch das Wohngebiet Hirschsprung. Als ich links um eine Ecke kam, war gerade ein Auto rückwärts aus einer Einfahrt gefahren. Ich versuchte auszuweichen und kam zu Fall. Linke Seite, linkes Knie. Die Geschichte mit dem Helm hatten wir schon. Der Autofahrer hatte sich geistesgegenwärtig zurück in seine Einfahrt gerettet und so eine Kollision vermieden. Mein erster Gedanke war: „nicht schon wieder das Knie“. Aber die Kreidler hatte dankenswerter Weise ein paar Sturzbügel rechts und links. Gut, dass ich mir die nicht ausreden lassen habe. So war ein verkratzte Sturzbügel, ein paar Schrammen im Tank und eine zerrissene Hose vorerst der einzige Schaden. Der Autofahrer kümmerte sich um mich und fragte, ob ich denn die Polizei bräuchte? Mein Freund Dieter intervenierte sofort. Er wusste, dass die Polizei das letzte war was wir brauchen.

Die Clique war abends am Langener Waldsee oder auch „Sehring Kiesgrube“ gewesen. Dieter hatte seine neue Flamme aus Sprendlingen dabei und ordentlich wund geknutscht. Irgendwann, es war schon dunkel, musste Dieter seine Flamme nach Hause bringen. Sie wohnte im Hirschsprung. Kurz vor Erreichen der Wohnsiedlung bemerkte ich ein Polizeiauto hinter uns. Ich überholte Dieter und signalisierte die Gefahr. Das nicht funktionierende Rücklicht an meiner Kreidler hatte sie auf den Plan gerufen. Dieter bog sofort links ab. Wie ich später erfuhr, hatte er seiner Flamme gesagt, sie solle den Rest zu Fuß gehen und flüchtete dann durch den Wald nach Neu-Isenburg. Die Polizei versuchte mich zu stoppen und ich bog in einen Gehweg zu einem der Hochhäuser ab. Ich bretterte über eine Wiese mit Spielplatz. Hinter einem Busch machte ich den Motor aus und lauschte in die Nacht. Ich glaubte das Polizeiauto hören zu können wie es um den Hochhauskomplex patrolierte. Dann war es still. Es war bereits nach Mitternacht. Ich schob das Moped vorsichtig in Richtung Straße. Weit und breit nix zu sehen. Das Herz pochte bis in den Hals. Ich warf die Kreidler an und raste Richtung Wald und dann in Richtung Heimat.

Es wäre naiv zu glauben, dass sowas ohne Folgen bleibt. Es dauerte zwei Tage, da stand die Polizei bei mir zu Hause vor der Tür. Sie wollten meine Kreidler sehen und wissen, warum ich geflohen war. Als ich die Garagentür öffnete und der Beamte mein Moped sah, sagte er: „Ich glaube wir haben gerade fünf geklaute Mopeds gefunden“. Er wollte die Papiere sehen. Er nahm sie, schüttelte den Kopf und sagte: „Das gute Stück bleibt jetzt erst mal wo es ist. Die Papiere nehme ich mit“. Schreiber hieß der Beamte. Er war in der Szene um „Esso-Stift“, „Lucky“ und wie sie alle hießen als scharfer Hund bekannt. Er hatte sich vorgenommen diesen Sumpfs von Moped Diebstählen auszutrocknen.

Ich war gerade bei meinem Freund Dieter, und wir bastelten in der Garage irgendwas an seinem Moped rum. Seine Flamme war auch da, Dieter wohnte in einer Wohnanlage, und die Garagen waren in einer langen Reihe davor. Sein Vater war dort der Hausmeister und recht beliebt. Plötzlich steht ein Polizei-VW-Bus quer vor der Garage. Besagter Polizist steigt aus. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „So meine Herren, wenn sie mir bitte beim Einladen helfen würden. Das Moped ist beschlagnahmt“. Ziemlich geschockt von der abrupten Unterbrechung unserer guten Laune, taten wir wie uns geheißen. Auf der durchgehenden Sitzbank vorne im VW-Bus, saßen der Polizist am Steuer, in der Mitte die Flamme, daneben ich, und hinten im Laderaum DIeter, der sein Moped liebevoll stützte.

Kurz vor erreichen der Polizeiwache wurden wir aufgehalten. Es gibt bis zum heutigen Tag eine Ampel in Neu-Isenburg, wo man beim Linksabbiegen oft sehr lange warten muss. Die Flamme sagte: „Machen sie doch das Blaulicht an“. Irgendwie muss ihn schon die ganze Fahrt das nahe am Schalthebel postierte Knie der Flamme irritiert haben. Jedenfalls folgte er dem Rat. Das war sein Fehler. Er hatte ein Dienstvergehen begangen und drei Zeugen. Ich glaube, das wurde ihm danach sofort bewusst. Auf der Wache angekommen half Dieter das Moped auszuladen. In der Garage des Polizeireviers gab es dann noch einige neugierige Kollegen unseres Polizisten, und das Ganze verzögerte sich etwas. Im Revier fragte ich den dort Diensthabenden, ob er den wüsste, was aus der Sache mit meinen Papieren geworden sei. Er zuckte die Schultern, zog eine Schublade auf und rief mich zu sich. In der Schublade lagen noch mehrere andere Papiere in einem ähnlichen Zustand wie meine. Er bat mich ihm zu zeigen, welche Papiere denn die meinen wären. Ich fand sie und deutete darauf. Er nahm sie in die Hand schaute sie vorne und hinten an, und fragte, was denn damit sei. Ich sagte ihm, dass ich das nicht weiß und er das eigentlich wissen müsse. Ja und jetzt? „Na dann nimm sie mit, wenn was damit wäre, würden sie bestimmt nicht mehr in der Schublade liegen. Der Kollege ist bestimmt noch nicht dazu gekommen, die ganzen Papiere zurück zu schicken“. Ich hatte gedacht ich träume. Er gab mir die Papiere ohne, wie ich befürchtete, sie mit einem „Ätsch, verarscht“ wieder zurück zu ziehen. Völlig beseelt ging ich hinaus zur Garage. Dieter stand ziemlich betröppelt da, und der Herr Polizist brüstete sich bei seinem Kollegen, dass er sich einen großen Schritt weiter gekommen zu sein wähnte. Ich dachte mir meinen Teil und signalisierte Dieter, dass es wenn´s nix weiter gäbe, Zeit wäre zu gehen.

Auf dem Weg zu mir nach Hause erzählte ich ihm von meinen Papieren und dass meine Kreidler nun zu Hause auf uns wartete, ihn nach Hause zu fahren. Ein paar Tage später erzählten wir in der Clique von den Vorkommnissen. Unsere kriminellen Cliquen-Mitglieder haben Dieter sofort geraten, mal auf der Wache anzurufen und nach seinen Papieren zu fragen und dabei die Sache mit dem Blaulicht nochmal anzusprechen. Das brauchte er dann gar nicht. Wie bei mir wurde er ohne weiteren Kommentar gebeten vorbeizuschauen und die Papiere abzuholen.

Meine Kreidler war immer die langsamste. Willi und Karl-Heinz wechselten sich bei den Geschwindigkeitsrekorden ab. Kreidler gegen Herkules. Dieter, Detlef, Harald, ESSO und Lucky und die Anderen lagen im Mittelfeld und ich am Ende. Manche Dinge haben auch unvermutete Vorteile. Wir waren an der Holzmann Kiesgrube als der in der Nähe wohnende Harald mit zwei seiner Kumpanen angefahren kam und mitteilte, dass es in der Gasstätte vom Turnverein Stress mit einer Mopedclique (Rocker) gab. Wir mögen doch bitte umgehend zu Hilfe eilen. Also schwangen wir uns, nun zu echten Rockern mutiert, auf unsere Mopeds und rasten Richtung Neu-Isenburg. Auf eine Schlägerei hatte ich überhaupt keinen Bock. Da nicht und niemals sonst in meinem Leben. Durch die Motorschwäche meiner Kreidler war ich ausreichend zurückgefallen. Diese Gelegenheit nutzte ich um einfach mal rechts in Richtung Elternhaus abzubiegen. Dass es zu keiner Schlägerei kommen würde, wusste ich ja nicht und es war mir auch egal. Es wurde über die Geschichte im Nachhinein gesprochen und man fragte mich, wo ich denn gewesen sei. „Der Bock ist wieder stehen geblieben“ hatte ich gesagt. „Das geht so nicht“ hatte „ESSO-Stift gesagt und mich gebeten ihn am nächsten Morgen nach Offenbach zur Berufsschule zu fahren. Im Glauben er hätte Berufsschule, fuhr ich ihn in die Berufsschule. Dort angekommen, sagte er zu mir: „Wart mal nen Moment, da vorne steht dein neuer Motor“. Er ging los in Richtung Fahrradständer, wo auch eine rote Kreidler geparkt war. Ein Ruck und das Lenkradschloss war geknackt. Die Kreidler sprang auch sofort zuverlässig an. Er winkte mir, dass ich ihm folgen soll, als er mit der gestohlenen Kreidler an mir vorbei düste.

Wir fuhren zurück nach Neu-Isenburg in eine Kleingartensiedlung. Wem der Garten gehörte, keine Ahnung. Jedenfalls erlebte ich wie innerhalb von zwei Stunden die komplette Kreidler zerlegt war. Der Rahmen wurde im nahe gelegenen Wald entsorgt. Den Motor drückte er mir in die Hand und sagte: „Damit solltest du endlich mal mithalten können“. Ich bekam dann noch den Tipp, den Teil des Motorgehäuses mit der Motornummer als Ersatzteil zu erwerben, da könne man dann meine Motornummer einschlagen. Wo ich das Teil erwerben könne ohne gefragt zu werden warum, bekam ich auch noch mit auf den Weg. So getan, beschlich mich der Gedanke, dass ich mein Glück doch arg strapaziert hätte in der letzten Zeit.

Als ich meinen Lehrvertrag in Händen hatte, verstärkte sich der Wunsch nach ruhigerem Fahrwasser. Ich widmete meine Kreidler wieder um indem ich mir neue Papiere schicken ließ und sie danach ordnungsgemäß zuließ. OF-KK 225. Das Nummernschild für die nächsten zwei Jahre. Die Kreidler wurde über den Winter zerlegt. Im Keller ohne Maske oder ähnlichem, lackiert und sah am Ende des Winters aus wie neu. Die Clique löste sich mit den beginnenden Lehrverträgen der meisten Mitglieder teilweise auf. Jedenfalls wurde die Intensität geringer. Kein Bock mehr auf Gaunereien. Seriosität war das Gebot der Stunde.

Allerdings gab es für mich davor noch eine Altlast los zu werden. Es kam wegen meines Unfalls noch zu einer Gerichtsverhandlung. Eigentlich nicht wegen des Unfalls, sondern wegen Versicherungsbetrugs und Fundunterschlagung. Na wenigstens nicht Diebstahl. Mein Vater war mit mir dort. Wie schon damals bei der Polizei ganz der strenge Erzieher. Mit einem Augenzwinkern. Er ermahnte mich wieder theatralisch unbedingt bei der Wahrheit zu bleiben. Gut, ich erzählte wieder meine Geschichte und erfuhr, dass die Polizei das wohl überprüft hatte. Ich wurde zu zehn Stunden Sozialdienst verdonnert. Diese sollte ich bei der Arbeiterwohlfahrt in Offenbach ableisten. Ich hatte zwar auf den Friedhof in Neu-Isenburg gehofft. Meine kriminellen Freunde hatten dort schon so manches Stündchen abgeleistet, aber es war halt wo anders.

Ich vereinbarte einen Termin um meine Stunden abzuleisten. So ging ich dann hin und sah um was es sich handelte. Es war eine Art Werkstätte für geistig behinderte Menschen. Man wies mir einen Haufen kindskopfgroße Steine zu. Diese sollte ich so verteilen, dass ein Weg in den nahen Wald entsteht. Nach zirka einer Stunde tat mir alles weh. Ich war nun ständig bemüht möglichst kleine Steine zu bewegen. Bei dem Versuch einen kleineren Stein unter einigen großen Steinen hervorzuziehen, kamen diese ins Rutschen. Einer donnerte mir auf die linke Hand. Vom linken Ringfinger hing der halb abgelöste Fingernagel und die Hand blutete. Bei dem Anblick verlor ich wohl jegliche Farbe aus dem Gesicht. Ich lief zum Büro und stand kreidebleich die blutende Hand zeigend da. Eine sehr besorgte ältere Mitarbeiterin setzte mich gleich auf einen Stuhl, da ich drohte umzukippen. Ein anderer Mitarbeiter kam mit einem Glas Weinbrand. Für den Kreislauf oder so. Man sah, dass der Fingernagel gezogen werden musste. Der Unfallchirurg in Offenbach wurde angerufen. Ich solle sofort vorbei kommen, man bereite schon alles vor. Mir war schlecht. Was soll das heißen, man bereitet schon alles vor? Ein schöner Mist das Ganze. Die Strafe entwickelte sich zu einer echten Strafe. Man fuhr mich zum Arzt, der Finger wurde betäubt. Der Nagel gezogen. Alles verbunden. Das war alles kein Problem. Die Strafe kam als die Betäubung aufhörte. Weitere Stunden abarbeiten war erst mal nicht möglich. Ich rief an und man sagte mir, dass ich mir erst mal keine Gedanken machen soll. Man habe mir aus Mitleid fünf statt zwei Stunden aufgeschrieben, und ich möge mich für die restlichen fünf Stunden melden, wenn es mir wieder besser geht.

Als die Hand wieder OK war, rief ich bei der Arbeiterwohlfahrt an. Ich wollte, bevor mein neues Leben begann, diesen Makel beseitigt haben. Es wurde wieder ein Termin vereinbart und ich trat an. Diesmal war ich nicht allein. Mein, quasi, Arbeitskollege war ein siebzehnjähriger, der wegen Zuhälterei verknackt wurde. Unsere Aufgabe bestand darin, Matratzen von einem Gebäude diagonal über einen großen Hof, in ein anderes Gebäude zu transportieren. Mein Kollege war schon sehr erfahren. Er wusste die Arbeit gut einzuteilen, sodass die fünf Stunden ohne große Anstrengung vergingen. Wir lagen auf den Matratzen und er erzählte mir von seiner Eigentumswohnung in Gravenbruch, dem Auto, dass seine „Mitarbeiterin“ für ihn fuhr, bis er achtzehn war. Wie das Geschäft so läuft und was er für ein toller Hecht war. Es waren interessante Einblicke in eine Welt mit der ich nichts zu schaffen hatte. Er machte sich einen Spaß daraus immer zu warten bis einer der Behinderten mit seiner Schubkarre aus der anderen Diagonale des Hofes startete, um dann mit einer Matratze loszulaufen. Der arme Mensch hatte zwar schon mehr als die Hälfte seiner Wegstrecke zurückgelegt, drehte dann aber erschrocken um und lief zurück in die Ecke aus der er kam. Das gefiel meinem Arbeitskollegen. Er wiederholte es mehrfach und es amüsierte ihn, dass es auch völlig egal war, aus welcher Ecke der arme Mensch kam, er lief immer zurück. Nachdem wir uns noch durchfüttern ließen, wurden unsere Stunden quittiert und wir verabschiedeten uns auf Nimmerwiedersehen.


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