Durch den Nebenverdienst meiner Mutter konnte man sich nun auch einen Sommerurlaub leisten. Campingurlaub in Italien. Wow. Also so richtig im Ausland. Fremde Länder, in diesem Fall Österreich und Italien, und fremde Kulturen. Fremdes Essen, fremdes Geld. Alles fremd halt.
Da galt es sich entsprechend vorzubereiten. Irmgart und Anton hatten da schon Erfahrung und Harald, der seine Gläserspülmaschine auch auf Messen in Italien anbot, kannte Land und Leute natürlich sowieso. Ein Weltmann eben. Er kannte sich auch aus mit Übernachtungsmöglichkeiten und günstigen, guten Lokalen zum Essen, auf dem Weg in und aus dem fremden Land. Seine Frau Anneliese fand Camping eher blöd.
Da Camping-Urlaub in Italien für meine Familie etwas völlig Neues darstellte, musste man natürlich vorher die nötigen Handgriffe testen und verinnerlichen, damit man sich nicht unvorbereitet in das Abenteuer stürzt. Also wurde mit der für Camping nötigen Ausrüstung im Vorfeld geübt. Je besser die Vorbereitung, umso kleiner die Anzahl der Überraschungen vor Ort. Das war der Plan.
Irmgart, Anton, Anneliese, Harald, die zwei Gabis und Lothar, der Bruder einer der Gabis, fuhren regelmäßig in den Taunus. Da hatte man ein schönes Gelände in der Nähe von Pfaffenwiesbach gefunden. Hier wurde sich am Sonntag erholt. Es wurde Ball gespielt, Federball und alles was man sonst so an der frischen Luft treiben konnte.

Hier wurde nun der Ernstfall (Urlaub) geprobt. Irmgart und Anton waren zeltmässig schon eine Klasse aufgestiegen und liehen uns ihr altes Hauszelt. Hier mussten dann Vater und Mutter längs und ich hinten quer schlafen. Luftmatratzen wurden probeweise aufgeblasen und der ebenfalls geliehene Spiritus-Kocher getestet. Als man der Meinung war, dass wir ausreichend geschult wären, wurde ein oder zwei Schnäpschen getrunken und wieder zusammen gepackt.

Jetzt war es dann soweit. Mein Vater hatte unseren „Molli“ stundenlang akribisch gepackt. Das hatte er mit der gleichen Sorgfalt erledigt, wie er an Weihnachten das Lametta an den Weihnachtsbaum zu trapieren pflegte. Es gab im Auto und auf dessen Dach kein Eckchen mehr in dem nicht noch eine Dose Rheinscher Sauerbraten oder Pfälzer Hackbraten einen Platz gefunden hätte. Denn für den Urlaub war überwiegend Selbstverpflegung angesagt. Essen gehen gab das Budget nur in vereinzelten Fällen her. Außerdem, man wusste ja nicht, was da in der Fremde kulinarisch so lauerte.
So vorbereitet stand das Auto nun in unserer Garageneinfahrt, da es zu hoch beladen war um in der Garage zu übernachten und wartete auf seine Fahrgäste. Vorne werden Vater und Mutter sitzen, auf der Rückbank meine neun Jahre ältere vollpubertierende Schwester und ich. Die Fahrt gen Süden sollte in der Nacht um 3:00Uhr starten. Ich lag in dieser Nacht im Bett und konnte vor lauter Aufregung gar nicht richtig schlafen. Endlich waren Geräusche im Haus zu hören. Es roch nach Aufbruch, und ich hatte einen Herpesausschlag an der Lippe. Warum ich das erwähne? Weil es in allen Folgejahren, in denen ich mit meinen Eltern in Urlaub fuhr, immer genau so war. Mein Urlaub begann immer mit Bläschen auf der Lippe.
Man hatte sich mit den anderen beiden Familien auf einem Autobahnparkplatz zwischen Offenbach und Obertshausen verabredet. Für mich war selbst das schon unglaublich spannend und aufregend. Mitten in der Nacht mit dem Auto unterwegs zu sein war toll. Sogar das Warten auf das Eintreffen der Anderen auf dem Parkplatz war ein Abenteuer. Die Autos auf der Autobahn, deren Geräusche sonst nur bei Ostwind des nachts in mein Zimmer drangen, waren jetzt ganz nah.
Nach einer ausgiebigen Begrüßung und einem letzten Briefing, die Fahrtstrecke betreffend, ging es endlich los. Außerdem wurden noch diverse Zeichen vereinbart, um gegebenenfalls auf gewisse Bedürfnisse oder Notsituationen aufmerksam machen zu können. Dann ging es endlich los. Harald hatte damals schon einen Wohnwagen. Das schränkte die Reisegeschwindigkeit sowieso auf 80km/h ein. Das kam dem Leistungsvermögen unseres völlig überladenen Renault 4CV sehr zu pass. Es ging also gemächlich dahin. Das Autobahnnetz war zu jener Zeit sowieso eher lückenhaft. Die A3 auf deren Parkplatz wir uns getroffen hatten, endete bei Nürnberg, danach bis München gab es nur Landstraße. Nach Süden endete die Autobahn bei Stuttgart. Man fuhr also überwiegend auf Landstraßen, die wiederum nicht als Fernstraßen mit Ortsumgehungen ausgebaut waren. Also schön durch jede Ortschaft hindurch. Das senkte die Durchschnittsgeschwindigkeit extrem. Das erklärt auch, warum man zwei Tage für eine Strecke brauchte, die heute in zehn Stunden zu bewältigen ist. Wenn man mal keinen Stau hat.

Irgendwie hatte man keinen Stress damit, dass es nicht allzu flott dahin ging. Bei den Pausen wurden erst mal ein paar Campingstühle und ein Tischchen aus dem Wohnwagen geholt und aufgebaut. Man wollte ja seine Mahlzeiten nicht wie die nichtsesshafte fahrende Minderheit, damals noch Zigeuner genannt, einnehmen. Keiner der Reisenden hatte jemals Zigeuner bei einer Rast gesehen, aber es gab eine konkrete Vorstellung davon. Da war schon mal ne Stunde der Fahrzeit weg. Abends gegen 19:00Uhr wurde damit begonnen ein Quartier für die Nacht zu suchen. Nix online-booking im Internet. Das klappte erstaunlicher Weise immer sehr gut. Es gab eine einzige Ausnahme. Da hatte man auf der Rückfahrt in Niederbayern keine Pension oder einen Gasthof mit Zimmervermietung gefunden. Und wenn, dann waren die Zimmer vergeben. Man stand ziemlich kaputt von der langen Fahrt am Straßenrand und diskutierte, was man jetzt machen könne. Zelt aufbauen auf dem Acker oder so, als ein Landwirt aus der Gegend auf die Gruppe aufmerksam wurde. Er hielt an und fragte ob er uns helfen könne. So hatten wir um 23:00Uhr doch noch eine Bleibe für die Nacht auf seinem Bauernhof gefunden.
Das Überwinden der Alpen war für unseren „Molli“ auch kein Kinderspiel. Es galt Wege zu finden, die moderate Passstraßen beinhalteten. Mein Vater hasste den „Brennerpass“. Der Grund dafür blieb uns allen jedoch für alle Zeit verborgen. Über den „Großglockner“ war keine Option. Den überwand Anton mit seinem VW im Alleingang, da keiner mit ihm diese Strecke fahren wollte. Somit war der Tauerntunnel zwischen Böckstein und Mallnitz, den man per Verladezug bewältigte oder der „Reschenpass“ die Strecken der Wahl. Tauerntunnel erforderte den Weg über München und zum Reschenpass musste man damals über Stuttgart.
Schon die Fahrt durch die Alpen stellte weitere Attraktionen bereit. Grenzübergänge erforderten eine gewisse Wartezeit. Sie stellten aber auch gleichzeitig einen Punkt dar, an dem sich so einiges änderte. Fremdes Geld, fremde Straßen. In Österreich waren nach der Grenze plötzlich alle Fahrbahnmarkierungen gelb. Als diese wieder weiß wurden, war man in Italien. Die Straßen in den italienischen Alpen stellten eine echte Herausforderung für Fahrer und Fahrzeug dar. Sie waren in einem erbärmlichen Zustand. Ständig waren Stellen mit völlig überzogenen Geschwindigkeits-begrenzungen versehen. So sollte man teilweise 10 oder gar 5km/h fahren. Völlig unmöglich.
Ich wusste, dass es in Italien so tolles Eis geben sollte. Alle Eisdielen in der Heimat waren schließlich von Italienern betrieben. Italienische Straßen wurden schon zur damaligen Zeit von Werbetafeln gesäumt. Damals noch mit Werbung für italienische Produkte. Später mit fortschreitendem Tourismus kamen Tafeln mit Aufschriften wie „Würstel con Krauti“ oder „Hier kocht die Mama“ hinzu. Damit sollte dem überwiegend deutschsprachigen Tourist ein Gefühl von heimelicher Gemütlichkeit vermittelt werden. Meine Werbetafel der Begierde war die von „Gelati Motta“. Das italienische Ponton zu Langnese. Eis am Stil also. Jedenfalls hatte ich meine Eltern ausreichend genervt, und sie hielten an einem kleinen Geschäft. Es gab hier tatsächlich das Eis von der Werbetafel. Die ganze Familie wurde mit einem Eis am Stil versorgt. Nach den ersten Bissen schauten sich alle an und verzogen das Gesicht. Das soll tolles italienisches Eis sein. Das schmeckte ja grauenhaft. Da war das Langnese-Eis im Schwimmbad aber tausend mal besser. Man schaffte das Eis trotzdem in sich hinein. Es war ja teuer gewesen, da konnte man es nicht einfach wegwerfen. Wirklich gutes italienisches Eis lernten wir dann später in kleinen Eisdielen kennen. „Gelati Motta“ habe ich im ganzen Leben nie mehr gegessen.
Nachdem die Alpen überwunden waren, wurden die Straßen zwar etwas besser, aber nicht unbedingt breiter. Vor allen Dingen ging es geradeaus. Nach ein paar Kilometern ging es rechts oder links und dann wieder geradeaus. Kurven waren zur Mangelware geworden. Vorbei an schier endlos wirkenden Maisfeldern. Weizen und Milch waren damals kaum vorhanden. Maismehl bildete die Grundlage für Gerichte wie zum Beispiel Polenta. Damit konnte man über Tage die Familie satt bekommen. Denn es herrschte zu damaliger Zeit allgemein große Not. Der Tourismus war gerade so am Anfang. Die Milch, die man kaufen konnte, schmeckte grausig. Später sah man auf den Straßen sehr häufig LKWs mit der Aufschrift „Trasporto Latte“. Die Fahrzeuge transportierten Milch aus Bayern und Baden Württemberg nach Norditalien. Brötchen wurden auch aus Maismehl gebacken und hatten einen unverwechselbaren, einmaligen Geschmack. Leider verschwanden diese Brötchen als man in der Lage war, Weizen im Ausland zu kaufen und auch selbst anzubauen. Man buk jetzt Brötchen wie sie der Tourist von daheim kannte. Leider. Ach ja, und Obst gab es. Vor allem Pfirsiche. Sie wurden überall am Straßenrand feil geboten. Saftig und geschmackvoll.
Das erste Mal war das Ziel der Reise in Lido di Jesolo. Genauer gesagt auf einen Campingplatz nahe „Cortelazzo“ direkt dort, wo der Fluss „Piave“ in die Adria mündet.

Wie geübt wurde das Leihzelt aufgebaut und alle mitgebrachten Utensilien ausgepackt. Abendessen im Restaurant auf dem Campingplatz. Bevor man irgend welche Experimente mit der Esserei machte, beschränkte man sich zunächst auf das, was man kannte. Nämlich Nudeln. Die kamen hier in der Form eines Gerichtes, dass sich „pasta asciutta“ nannte, daher. Heute kennt man das eher als „Spagetti Bolognese“. War das köstlich. Die streuten sich da sogar noch Käse drüber. Göttlich. Wenn das so weiter ging, dann waren wir im richtigen Land.
Am nächsten Tag zeigten sich erste Defizite in der Ausrüstung. Alle unsere Konserven standen nun irgendwie in der Sonne. Es wurde halt auch schnell warm hier im sonnigen Süden. Da musste was geschehen. Rat kam aus der künftigen Nachbarschaft. Ein Loch in die Erde buddeln und eine Obstkiste holen. Die lagen zu Hauf hinter dem kleinen Supermarkt des Campingplatzes. Gesagt getan. Eine total geniale Lösung. Natürlich noch optimiert von meinem Vater. Das Ganze bekam in seiner Variante auch noch einen Deckel, damit nicht immer Sand ins Loch fiel. Die Obstkisten wurden mehr und mehr zu praktischen Möbelstücken. Als Stellplatz für den Spirituskocher, als Regale für dies und das, man konnte sogar darauf sitzen, wenn der Besuch die wenigen Campinghocker belegte. Außerdem wurde das Zelt um ein Schatten spendendes Vorzelt erweitert. Dies bestand aus alten Decken und Planen. Es war einfach wunderschön. Drei Wochen Sonne. Denn so lange musste der Urlaub schon sein, sonst lohnt sich die Fahrerei ja nicht. Später war der Urlaub auch vier Wochen lang. Es wurde halt der gesamte Jahresurlaub für diesen einzigen Urlaub im Jahr genommen.
Für mich war hier das Paradies. Auch kulinarisch gesehen. Jemand hatte gesagt, dass man hier auch Tintenfische essen würde. Meine Mutter schüttelte sich bei dem Gedanken. Mein Vater meinte, „gut, dass es auch anständiges Zeug zum essen gibt. Ich hingegen probierte das aus. Die Tintenfische, die in der Form von „Calamari fritti“ daher kamen, waren köstlich. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Überhaupt lösten alle angebotenen Meeresfrüchte große Begeisterung bei mir aus. Als mich dann meine Eltern und andere Verweigerer all diese Gerichte mit großer Begeisterung essen sahen, und auch sahen, dass es keine negativen Auswirkungen auf die Verdauung und so hatte, wagte man sich auch an diese exotischen Gerichte und fand Gefallen daran.

Nach dieser positiven Erfahrung war schnell klar, Campingurlaub ist das Schönste was es gibt. Das wird auf jeden Fall wiederholt. Natürlich nicht unter den primitiven Voraussetzungen wie beim ersten mal. Beim zweiten Urlaub auf dem nagelneuen Campingplatz „Cavallino“ in Lido di Jesolo sah die Sache schon anders aus. Der nagelneue Campingplatz verfügte zwar über neue Sanitäreinrichtungen und sonstiger Infrastruktur, bot aber wegen der noch sehr jungen Bäume wenig Schatten. Keine Ahnung, wie wir das früher ausgehalten haben. Die Hitze im Zelt, die auch nachts nicht wesentlich geringer war. Man war halt noch jung. Jedenfalls hatte mein Vater immer die Reifen unseres „Molli“ abgedeckt, damit sie von der Sonne keinen Schaden nahmen.
Was bei diesen Temperaturen, in den 4 Wochen zwei Tage regnerisch, sehr gut funktionierte, war braun werden und besoffen sein. Mein Vater hatte für sich den lokalen Rotwein, einen Merlot mit schwarzem Etikett (gibt es heute noch), entdeckt. Der Geschmack dieses Weines hat sich bei mir so sehr verinnerlicht, dass ich bis heute gerne Merlot trinke. Die Traube hat einen unverwechselbaren Geschmack, der allerdings nicht jedermanns Sache ist. Diesen Wein gab es quasi zu jeder Mahlzeit außer Frühstück. Wein kostete damals erheblich weniger als Mineralwasser. Man musste ja ein bisschen aufs Geld achten. Harald und mein Vater hatten von einer ihrer Angelplatz-Suchfahrten eine ganze Steige vollreifer Pfirsiche mitgebracht. Sie erzählten, dass der Bauer beinahe noch Geld gegeben hätte, damit sie das Obst mitnehmen. Das ist natürlich Quatsch, zeigt aber, wie billig das Obst war. Also wurden die Damen verdonnert, die Pfirsiche zu zerstückeln und die Stücke in zwei 10 Liter Plastikeimer zu verteilen. Danach machten sich die Herren auf zur „Cantina Soziale“, eine Art Genossenschaft, wo die Weinerzeuger der Region ihre Weine vermarkteten. Sie ließen dort die Eimer mit Weißwein auffüllen. Dazu kam noch etwas von Annelieses Cognac Vorräten, und schon hatte man eine veritable Bowle. Vielleicht etwas viel für drei Familien. Das war aber auf dem Campingplatz kein Problem. Temporäre Freundschaften waren hier schnell geschlossen, und es wurde nach Herzenslust gefeiert.

Ich erinnere mich an ein historisches Ereignis einige Jahre später auf dem Campingplatz „Falconera“ in Caorle. Da fuhren wir am meisten hin. Bestimmt sechs Jahre hintereinander. In der dortigen „Restaurant/Bar“ gab es im Außenbereich vielleicht dreißig Tische mit jeweils vier Stühlen. Es war mal wieder Eimerbowle angesagt, und da man zur Abwechslung zwischendurch ein paar Spagetti essen wollte, fragte man den Betreiber, ob man die mitgebrachte Bowle dort trinken dürfe. Dem war das egal. Er kannte Harald und meinen Vater nur zu gut. Da gab es schon die eine oder andere Anekdote. So zum Beispiel dachte mein Vater wohl, dass Italienisch sehr einfach ist. Man ergänzt die Wörter mit einem „o“ und fertig. Der Mann von Welt hatte sich also einen „Vino rosso“, soweit klappte das mit dem „o“ ja noch, mit dem Zusatz „aber kaldo“, kalt also, bestellt. Der Barmann gab ihm, sehr zu seinem Entsetzen, einen schönen warmen Rotwein. „Caldo“ heißt nun mal „warm“. das war dann wohl doch nicht ganz so simpel mit der Sprache. Aber zurück zu jenem denkwürdigen Ereignis. Die Familie hatte ein paar Tische zu einer kleinen Tafel zusammen gestellt und begann mit dem Gelage. Die ausgelassene Stimmung war wohl ansteckend. Immer wieder kamen Leute von anderen Tischen herüber und fragten, was wohl in den Eimern sei. Man probierte gern auch mal ein Gläschen, holte dann seinen Tisch und die Stühle und erweiterte die Tafel. Zeltnachbarn hatten, neugierig geworden vom Lärm der aus der Bar kam, auch den Weg hierher gefunden, stellten einen Tisch an die Tafel und ihre Stühle. Es gab eine Musikbox aus der an diesem Abend bestimmt dreißig mal „Cuore“ von Rita Pavone plärrte. Das bumm, bumm, in diesem Lied, war weit über den Platz zu hören. Am Ende gab es nur noch einen einzigen Tisch, der nicht an der Tafel stand. Die Glückseligkeit meines Vater fand an jenem Abend seinen Höhepunkt, als sich auch noch der Besitzer des Weinguts, der den Merlot mit schwarzem Etikett produzierte, ihm gegenüber an die Tafel setzte. Auch er war gerade geschäftlich in der „Cantina Soziale“ und hatte das ausgelassene Treiben vernommen. Neugierig schaute er vorbei und blieb. Denn es war unglaublich schön. Sprachen, Nationen, Hautfarben, alles völlig egal, man verstand sich schon. Am nächsten Tag war es in weiten Bereichen des Campingplatzes sehr ruhig.
Was die Campingausrüstung anging, war, wie schon erwähnt, investiert worden. Das geliehene Hauszelt war jetzt ein Steilwandzelt geworden. Als es zum ersten mal aufgebaut werden sollte, war es Aufgrund verlängerter Fahrzeit bereits dunkel, als man es aufstellen musste. Aus Termingründen war ein probeweises Aufstellen nicht möglich gewesen. „Das ist doch kein Problem. Da passt sowieso alles so ineinander, dass man keinen Fehler machen kann“, hatte mein Vater zu Hause noch gesagt. Pustekuchen. Irgendwie war das Gerüst aus Zeltstangen mal schmal und hoch, dann wieder breit und flach. Jedenfalls passte die Zeltplane nicht darüber. Die Anderen mussten auch ihren Kram aufbauen, hatten also keine Zeit. Wie es so ist auf dem Campingplatz. Zeltnachbarn hatten die verzweifelten Versuche beobachtet, kamen spontan herüber und siehe da, das Zelt stand. Darauf erst mal nen Magenbitter. Einer der Helfer sah das ganze Zeug um unser Auto herum und fragte meinen Vater ob dieses Fahrzeug über einen Keller verfügt, denn anders kann man das alles gar nicht transportieren. Zumindest nicht in so einem kleinen Auto , besetzt mit vier Personen.
Der Spirituskocher war jetzt ein Gaskocher. Die Obstkisten dienten nur noch zum einbuddeln als Kühlschrank. Als Campingmöbel hatten sie ausgedient. Hier gab es jetzt Klapptisch, Klappstühle, Klappliege, Klappschränkchen, halt alles, was sich klappen ließ. Stühle und Liegen waren fein säuberlich markiert, damit sich kein unbefugter in „seine“ Liege oder auf „seine“ Matratze legte. So ließ es sich richtig gut entspannen. Meine Mutter machte, was sie zu Hause auch machte. Sie kaufte wunderbare frische Sachen ein, die dann zusammen mit den Dosenrouladen oder dem „Rheinischen …“ ein leckeres Gericht ergab. Im Urlaub war halt alles lecker. Sie wusch das Geschirr ab. Die Kinder durften abtrocknen, und schon ging es wieder an den Strand zum Körpergrillen in der prallen Sonne. Dabei wurde sich ordentlich mit „Tiroler Nussöl“ eingerieben. Schutzfaktor „0“. So war sie, wenn wir nach Hause kamen, von einem Bewohner des Afrikanischen Erdteils kaum noch zu unterscheiden. Das Verständnis von Urlaub war ein anderes, als man es heute vorfindet. Man brauchte keine Animation, keine Adventure Events. Man brauchte ein schattiges Plätzchen für ein Nickerchen, Ruhe, Ausgelassenheit, ein Weinchen und ausreichend zu essen.
Ich war den ganzen Tag in einer riesigen Sandkiste. Baute Sandburgen am Strand. Die Haut auf meinem Rücken und auf meiner Nase schälte sich gegen Ende des Urlaubs zum dritten Mal. Heute völlig undenkbar. Und ich hatte meine Schwimmkünste im Meer perfektioniert. Durch die Auftriebskraft des Salzwassers, kein allzu großes Problem.
Im dritten Jahr zog mein Vater aus dem Familienzelt aus. Zumindest nachts. Somit hatte meine Mutter und ich das Zelt zum Schlafen für uns. Meine Schwester war in die „Hundehütte“, ein kleines Hauszelt umgezogen. Mein Vater und Harald nächtigten im „Männerzelt“. Dieses Zelt erbte ich, als ich 12 Jahre alt war. Was für ein Luxus. Das mit dem „Männerzelt“ kam daher, dass Anneliese ständig an ihrem Harald rummeckerte, weil dieser ständig Sand mit in den Wohnwagen brachte, weshalb sie „ständig“ putzen musste. Irgendwann war Harald das Gemecker leid. Er kaufte das Zelt und zog dort ein. Im Wohnwagen wohnte fortan, für alle Zeit, Anneliese mit Tochter Gabi. Harald durfte den Außenbereich des Wohnwagens nutzen, ihn aber nicht mehr betreten. Das machte für Anneliese eine andere Sache noch leichter. Sie hatte sich im Urlaub zur Trinkerin entwickelt. Zu Hause konnte man ein solches Verhalten nie wahrnehmen. Sie war schon früh mit ihrer Cognac-Flasche beschäftigt und trank eigentlich immer wieder über den Tag verteilt. Als das ihrer Tochter auffiel, weihte sie meine Mutter ein und versteckte von da an ihre Flasche bei ihr im Zelt. Ich hatte das natürlich auch bemerkt, hatte dem Ganzen aber nicht viel beigemessen. Anneliese war den ganzen Tag strack, und Harald genoss seinen Urlaub und ging mit meinem Vater Angeln.
Oder sagen wir mal so, sie versuchten zu angeln. Als sie auf einer Brücke in einem Kanal angelten, kam die Polizei, bzw. die Carabinieri vorbei und hielten an. Einer der Beamten redete auf die Beiden ein. Diese stellten sich blöd, wohl wissend, was der Beamte wollte. Angeln von Brücken – no, no. Irgendwann gab der Beamte völlig entnervt von so viel Blödheit auf und fuhr davon. Die Beiden packten ihr Zeug, kauften zwei Fische um am Zelt etwas präsentieren zu können. Der Schwindel flog, dank mir, natürlich auf. Ein anderes Mal hatten sie tatsächlich Glück. Sie schleppten drei Fischchen von ca. 15cm Länge an. Und wer macht die jetzt sauber und bereitet die Beute zu? Anneliese winkte sofort ab. Anton und Irmgart fanden den ganzen Angelkram sowieso suspekt. Also blieb meine Mutter. Sie begann zu entschuppen als sie plötzlich aufschrie. Die Petrijünger hatten drei Stechfische gefangen. Diese graben sich im Sand des Meeresbodens ein und stellen dann einen Stachel auf. Dieser Stachel enthielt ein Gift, das normalerweise die Beute betäubt. In diesem Fall brachte es meiner Mutter eine auf das Doppelte angeschwollene Hand ein und einige Tage Ungemach. Fisch gab´s an dem Tag nicht.
Einige Urlaube später hatte Harald ein Schlauchboot mit einem kleinen Motor gekauft. Damit fuhr man hinaus aufs Meer zum Angeln. Mein Vater hatte seine Füße im Wasser und wartete bis ein Fisch anbeißt. Fisch biss keiner an. Seine Fesseln bissen dafür in den nächsten zwei Wochen um so mehr. Durch die Reflektion des Wassers hatte die Sonne seine Beine im Bereich der Fesseln derart verbrannt, dass er zwei Wochen die mit Brandsalbe behandelten Bereiche mit einem Verband umwickeln musste. Mitleid hielt sich in Grenzen, für ausreichend Spott war gesorgt. Darauf einen Kräuterschnaps. Ach ja, Haare wuchsen an den Beinen in diesem Bereich nie mehr. So wurde man immer an den Angelausflug erinnert. Sie angelten dann von einem Steg aus. Ein Einheimischer gesellte sich dazu, öffnete eine Dose, zog etwas Schlabberiges aus der Dose, hängte es an den Haken, Angel ins Wasser, Angel raus, Fisch dran. Harald und mein Vater hatten zu der Zeit bereits zwei Stunden vergeblich versucht einen Fisch aus dem Meer zu ziehen. Der Einheimische wiederholte den Vorgang ca. zehn mal. Innerhalb von zwanzig Minuten hatte er sein Tagesziel erreicht. Die beiden Petrijünger fragten, was der Eingeborene denn da als Köder verwendete. Dieser machte einige Flatterbewegungen mit den Ellbogen und gaggerte dabei. Aha, Hühnerfleisch also. Er gab ihnen die Dose mit dem restlichen Inhalt und wünschte viel Glück. Jetzt war es soweit. Sie sahen sich schon kiloweise Fisch auf den Campingplatz schleppen. Der Eimer blieb leer. Das gibt’s doch nicht. Das ist ja wie verhext. Egal, scheiß drauf. Sie angelten was das Zeug hielt und fingen nix.
Harald und ich mochten einander sehr. So kam es, dass das Schlauchboot mit Motor quasi in meine Obhut überging. Ich war jetzt vielleicht zwölf Jahre alt. Ich tuckerte fleißig durch die Gewässer vor und neben dem Campingplatz. Es gab einen breiten Kanal, wie es viele Kanäle gab, die es ermöglichten, die komplette Küste zwischen Venedig und Triest mit dem Boot zu befahren, ohne auf das offene Meer zu müssen. Dadurch erschien das gegenüber liegende Ufer wie eine Insel. Dort gab es nix außer wilder Natur. Der Strand wurde nicht gesäubert, und es lag dort alles, was das Meer anspülte. Schönes und ekliges. In der Gegend lag halt alles herum, was der Wind hin und auch wieder weg trug. Das war oft das Ziel meiner Bootstouren.
Harald und Annelieses Gabi war zwischenzeitlich zu einer äußerst attraktiven jungen Frau herangewachsen. So blieb es nicht aus, dass sehr zum Entsetzen ihrer Eltern, eines schönen Tages ein junger Mann auf dem Campingplatz auftauchte, den Gabi wohl zu Hause kennen gelernt hatte. Ein bildschöner Mensch. Meine Mutter war völlig aus dem Häuschen. Sein Name „Kelly“. Wie er wirklich hieß, egal. Er war Schlagersänger und hatte eine Single veröffentlicht, die er natürlich bei sich trug und jedem präsentierte, ob man wollte oder nicht. Musikrichtung – Roy Black. Jener gut brustbehaarte Schönling war Gabi nachgereist. Natürlich musste er sein Zelt irgendwo anders auf dem Campingplatz aufstellen. Was sollen denn die Leute denken. Man wollte sich ja nicht, der damals noch strafrechtlich relevanten Kuppelei, strafbar machen. Das Gabilein war ja auch noch minderjährig. Die Tatsache, dass Gabi und Kelly nicht gemeinsam das Zelt teilen durften und Gabilein im Wohnwagen unter der Beobachtung ihrer Mutter stand, brachte mir eine Fährmannstätigkeit ein. Täglich durfte ich die Beiden auf die Insel bringen. Dort musste ich vor dem Strand kreuzen, bis ich sie wieder sah und für die Rückfahrt an Bord nehmen konnte. „Kelly“ schien ein recht ausdauernder Liebhaber gewesen zu sein, denn ich kreuzte teilweise bis zu zwei Stunden. Nach einer Woche war der Spuk vorbei. „Kelly“ weg, die Damenwelt wieder auf Normallevel und Gabi traurig.
Apropos Damen und Normallevel. In der Nähe des Campingplatzes „Falconera“ befand sich ein Restaurant, und in dessen Nähe eine Strandbar. In der Strandbar spielte jeden Abend eine Band. Den Bass der vorgetragenen Lieder hörte man bis in den letzten Winkel des Campingplatzes. Gemeckert hat keiner. Man empfand das Ganze eher angenehm einschläfernd. Das Restaurant war vor allen Dingen sehr stark von meiner Person frequentiert. Hatte ich mir in früheren Kinderjahren sehr gerne was zum Spielen vom Taschengeld gekauft, legte ich das Geld jetzt lieber in frittierten Sardinen und Calamari fritti an. Aber egal. Worauf ich hinaus will, ist der Punkt, dass meine Eltern mit Gefolge und neuen Freunden vom Campingplatz, gerne in jenes Lokal gingen. Günstiges Essen, günstiger Wein und Musikbegleitung aus der Nachbarschaft. Irmgart hatte die Angewohnheit, nach einer gewissen Menge Alkohol, leicht wuschig zu werden. So kam es eines Tages, dass sie musikalisch untermalt auf den Tisch stieg, ihren Rock hob und ihren in die Tage gekommenen Alarbasterkörper den Gästen im Lokal darbot. Striptease halt. Anton wäre gerne spontan im Erdboden versunken. Der Rest am Tisch war mit der Situation sichtlich überfordert, und die anderen Gäste klatschten auffordernd im Takt der Musik. Wahrscheinlich noch besoffener als unsere Gruppe. Es dauerte dann ein paar Tage, bis die Angelegenheit verarbeitet war. Mehrere klärende Gespräche mit Anton, ihrem Mann, brachten vorübergehend Ruhe in die Angelegenheit. Es gelang ihm halt nicht immer, sie vom übermäßigen Alkoholgenuss abzuhalten.

Als unser „Molli“ signalisierte, dass es an der Zeit wäre, ihn in Rente zu schicken, stellte Harald seinen VW-Lieferwagen (Bus) für die Urlaubsreise zur Verfügung. Natürlich nicht, ohne einen gewissen Eigennutz. Der Bus wurde nämlich auch mit allerlei Camping-Equipment von ihm beladen. Dadurch kam so viel Zeug zusammen, dass der Bus bis auf halbe Ladehöhe voll war. Über dem ganzen Zeug hatte man Bettdecken und Kissen platziert. Dadurch hatte ich als einziger Fahrgast, da meine nächstältere Schwester andere Urlaubspläne hatte, im Laderaum ein komfortables Bett. Ich konnte also im liegen reisen. Dolle Sache. Vorne saß mein Vater am Steuer als würde er, wie zu Wehrmachtszeiten, einen großen LKW chauffieren. Meine Mutter war begeistert von der Sitzhöhe und dem wunderbaren Blick nach vorne. Im nächsten Jahr hatten wir dann schon unseren VW-Käfer. Neuer zwar, aber mehr Platz gab es nicht.
Bis ich siebzehn Jahre alt war, fuhren meine Eltern, ich und die anderen zwei Familien gemeinsam in den Sommerurlaub. Danach hatte ich ja Auto und Führerschein und konnte mit meiner Freundin alleine in Urlaub fahren. Und wohin? An die Adria. Jetzt allerdings zum Camping nach Bibione, später nach Lignano in eine Ferienwohnung. Dieser Zeit wird bestimmt noch ein eigenes Kapitel gewidmet sein. Camping, das war schon ein Gefühl von Freiheit, Gelassenheit und Gemütlichkeit. Irgendwie war es auch kein Problem morgens in einer Reihe mit wildfremden Menschen an einem Waschbecken zu stehen, Zähne zu putzen und seine Morgentoilette zu verrichten. Wenn man nachts mal auf die Toilette musste, hieß es halt ein Stück laufen. Da ist man bei der Abkürzung schon mal über eine gespannte Zeltschnur gefallen. Was die so Geweckten dann meist mit einem Grummeln quittierten, aber ausgerastet ist keiner. Apropos Toiletten. Diese waren zu Anfang Toiletten in denen man sein großes Geschäft auch im stehen verrichten musste. Hierzu gab es in der Keramikwanne zwei Erhebungen in Fußform und ein Loch, in das es zu zielen galt. Also Füße in Position, Hose herunter, in die Hocke gehen und auf das erlösende platschende Geräusch warten, wenn man getroffen hatte. Einmal jedoch blieb das Geräusch nach der Freigabe der Verdauungsrückstände aus. Schlecht, gaaaanz schlecht. Das war mir sofort klar. Denn wo sollte die Fracht geblieben sein, wenn nicht im Loch? In der schlampig heruntergezogenen Hose vielleicht? Und tatsächlich da war sie. Gut, wenn die Konsistenz dann wenigstens fest war. Sonst hätte man ein viel größeres Problem, um unbemerkt zurück zum Zelt zu gelangen.
Es gab einen einzigen Versuch eine weitere Familie in unseren Kreis zu integrieren. Vater, Mutter und Sohn passten eigentlich von der Altersstruktur ganz gut zu uns, aber irgendwie war was faul mit denen. Ich weiß gar nicht mehr, wer die angeschleppt hatte. Ich glaube, es war Anton. Es herrschte eine ungewohnt angespannte Atmosphäre. Ob die Familie das auch wahrgenommen hatte oder warum auch immer, nach zwei Wochen packten sie in einer Nacht und Nebel-Aktion ihren Kram zusammen und waren weg. So waren wenigstens die letzten zwei Wochen entspannt wie gewohnt. Ein Jahr später erfuhren wir, dass besagte Familie von Frankfurt nach Bad-Hersfeld gezogen war. Am neuen Wohnort waren dann der Vater mit seinem Sohn, bei seinem neuen Arbeitgeber, der Benno Schilde GmbH, eingebrochen und wurden erwischt. Das wiederum erfuhren wir zufällig, da meine Tante im Amtsgericht in Bad-Hersfeld arbeitete. Irgendwie passte das zu dem Bild aus dem Urlaub.
Im Urlaub lernte man ausreichen Gleichgesinnte kennen. Eigentlich bestand keine Notwendigkeit den Kreis zu erweitern. Die Leute, die man auf dem Campingplatz kennenlernen konnte, hatten sich auch etwas verändert. Waren die Campingausrüstungen anfangs noch sehr spartanisch, und die Erholung stand im Vordergrund, hielt nun auch Luxus und Action Einzug. Es gab da die Industriellenfamilie aus dem Ruhrgebiet, die sich speziell mit meiner Familie angefreundet hatten. Nicht etwa umgekehrt. Man hatte sogar noch Kontakt nach dem Urlaub, und sie besuchten uns bei uns zu Hause. Bis auch da plötzlich nix mehr kam. Diese Familie hatte einen Sohn, 15 Jahre alt und eine Tochter, dreizehn Jahre alt. Ich war vierzehn. Der Sohn war klischeehaft genau der Typ „Reichensöhnchen“ mit einem stark in Richtung Arschloch tendierenden Charakter, wie man sich das so vorstellt. Immer irgendeinen Mist im Kopf, zu dem er gerne andere anstiftete und sich selbst im Hintergrund über die Konsequenzen amüsierte. So wollte er mich dazu anstiften in dem kleinen Tabakladen am Campingplatz irgendwas zu klauen. Nur so. Nicht, weil man was haben wollte, was man sich eigentlich nicht leisten konnte. Ohne mich. Dann war er sauer und drohte mit Schlägen oder sonst was. Im nächsten Moment kam er wieder angeschissen und wollte einen zum Essen oder was trinken einladen. Arschloch halt. Seine Schwester hingegen war eigentlich ausschließlich am Inhalt meiner Badehose interessiert, wo sie dann beim Schwimmen gerne mal versuchte neue Erkenntnisse zu gewinnen. Nach den Erfahrungen mit ihrem Bruder hatte ich dann aber davon abgesehen, derartigen Verlockungen zu erliegen. Außerdem war ich ja treu gegenüber meiner großen jedoch damals unerreichbaren Liebe zu Hause.
Die Familie Scherer. Vater, Mutter, Sohn und noch kleiner Tochter, kamen mit ihrem Motorboot. Dieses diente auch als Transportanhänger für Zeltluxus pur. Da war alles, was man klappen konnte gleich wesentlich massiver. Einen Kühlschrank, bzw. Kühlbox mit Batteriebetrieb gab es auch. Die Batterie dafür wurde immer im Boot, während der Ausfahrten geladen. Die Fahrten mit dem Boot waren immer ein echtes Highlight im Urlaub. Herr Scherer, der Maurer bei der Höchst AG war und scheinbar überdurchschnittlich gut verdiente, hatte eines Tages die Idee, dass ich doch mal seine Wasserski ausprobieren könne, die fahre er immer nur spazieren, da sich in seiner Familie keiner traute. Gesagt getan. Ich saß am Ufer, die hinter dem Boot gespannte Leine in der Hand, die Skispitzen aus dem Wasser zeigend. Handzeichen und Vollgas. Ich glitt wunderbar aus dem Wasser und glitt ebenso wunderbar über das Wasser. Solange es geradeaus ging. Leider musste Herr Scherer aber eine Linkskurve fahren, da wir sonst auf das gegenüberliegende Ufer in der Lagune gefahren wären. Und da war Schluss mit Balance. Ich schoss unter Verlust beider Ski über die Kielwelle des Bootes, die Leine fest im Griff. Es dauerte einen kurzen Moment um zu verstehen, dass das Loslassen der Leine eine durchaus angesagte Maßnahme wäre. Zweiter Versuch. Identisches Szenario. Es wurde der Plan gefasst, dass ich, da ich ja immer so gut aus dem Wasser ins Gleiten kam, doch besser gleich aus dem Wasser starten solle. Man konnte das Boot dabei so ausrichten, dass es in Längsrichtung durch die Lagune fuhr und somit länger geradeaus. Ich hing also im Wasser, die Skispitzen nach oben, und die Leine wurde langsam stramm gezogen, als ich hinter mir ein aufgeregtes Schimpfen vernahm. In Italienisch. Dadurch blieb mir der Grund vorerst verborgen. Das Boot zog an. Ich spürte ein schmerzhaftes Stechen in meiner Hose und das Schimpfen ging in hysterisches Geschrei über. Ich fuhr einige hundert Meter hinter dem Boot, als das Stechen an verschiedenen Stellen in meiner Hose nicht mehr auszuhalten war. Ich ließ die Leine los. Herr Scherer drehte sofort ab, kam zu mir und fragte nach, ob wir es nochmal versuchen sollten. Ich verneinte und wies auf die stechenden Schmerzen im Bereich Badehose hin. Man zog mich an Bord und registrierte den Grund für Geschrei und Schmerzen. In meiner Badehose steckten ca. fünf Angelhaken mit kurzen Angelschnurstücken dran. Ich war wohl bei meinem Startversuch so dicht an ein Boot mit Aal-Anglern geraten, die zu diesem Zweck rund um ihr Boot kurze Angelleinen mit Haken und Ködern ausgelegt hatten. Wir entfernten vorsichtig die Haken aus Hose und Haut, brachten sie den Anglern zurück. Diese hatten sich zwischenzeitlich beruhigt und mit viel Gestikulieren und Lachen wurde ihnen ihr Eigentum wieder ausgehändigt.
In dieser Zeit entwickelte sich dieser Campingplatz zu einem wahren Eldorado für Boot und Wasserski-Enthusiasten. So gab es den Einen, der jedes Jahr mit seinem kleinen Boot mit viel zu großem Motor versuchte, einen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen. Der Versuch endete in jedem Jahr ziemlich abrupt. Das Boot wäre im Normalfall einfach gesunken. Hat es aber jedes Mal aufgrund seiner enormen PS-Zahl geschafft, bis zu Ufer zu gleiten, wo es dann im seichten Wasser versank. Danach hatte der Besitzer den Rest des Urlaubs mit dem Zerlegen und Trocknen diverser Motorteile und seines Bootes zugebracht.
Ein anderes Mal kam die Familie König aus Berlin mit Gefolge auf dem Campingplatz an. Wir hatten uns schon alle ein paar Tage zuvor gewundert, weil plötzlich zwei rote sargähnliche Kisten auf der Düne zwischen Campingplatz und Strand standen. Sie stellten sich später als die Kufen eines einsitzigen Hubschraubers heraus. Der Hubschrauber wurde hinter einem Boot gezogen, und durch den Fahrtwind begann sich der Rotor zu drehen, und das Gefährt hob ab. Hier sollte ich erwähnen, dass die Firma König in Berlin, eine Firma war, die Motoren bauten, sowohl für Motorräder, andere industrielle Anwendungen und eben auch für Boote. Die hatten eine Scheibe dabei, die hinter einem Boot gezogen wurde, wobei auf der Scheibe eine Person auf einem Campingstuhl saß. Einmal hatte man schon gegen Abend, zwei Wasserski-Leinen hintereinander gebunden. Dann fuhr das Boot relativ kleine Kreise, woraufhin die Person auf dem Monoski eine wahnsinnige Geschwindigkeit erreichte. Die engen Kreise hatten leider zur Folge, dass sich ein Strudel bildete, der das Boot in die Tiefe zog. Der am Seil Hängende ließ das Seil los und raste in Richtung Strand. Er hatte bei Erreichen desselben immer noch so viel Geschwindigkeit drauf, dass er mit seinem Ski auf den Strand donnerte, sich anschließend etliche Male überschlug und an der Düne zum Campingplatz zum Liegen kam. Ohne Düne wäre er wahrscheinlich noch bis auf den Campingplatz geflogen. Die anderen Bootsbesitzer eilten mit ihren Booten dort hin, wo das gesunkene Boot nur noch wenige Zentimeter aus dem Wasser lugte, retteten die Besatzung und zogen das havarierte Boot an Land. Andere Zuschauer des Spektakels hatten sich in der Zwischenzeit um die an der Düne liegenden Person gekümmert. Der hatte sich glücklicherweise nichts gebrochen, war aber vom Sand am kompletten Körper abgeschürft. Diese Wunden heilen schlecht, konnte man in den nächsten Wochen beobachten.
Venedig. Wenn man schon so nah dran war, wollte man es auch mal sehen. Die Stadt auf Eichenpfählen in eine Lagune gebaut. Da bot sich ein Tag ohne Sonne an. Das ist angenehmer bei der Besichtigung und man verliert keinen Tag auf dem Strandgrill. Also hatte die tolle Idee, mit einem Schiff, das vom Hafen in Caorle direkt nach Venedig fuhr, Venedig zu besuchen. Blöd, dass wenn das Wetter nicht so gut ist, das Wetter auf See halt auch nicht so gut ist. Eigentlich war das Wetter sogar so schlecht, dass dieses Schiff noch nicht einmal im Hafen anlegen konnte. Wegen Wind und Wellen. Wir wurden also per Shuttleboot vom Ufer zum Schiff gebracht. Das Shuttleboot fuhr an die Tür des Schiffes, sank in einer Welle ungefähr drei Meter ab, stieg dann wieder auf, und wenn ein Fahrgast an der Schiffstür vorbeischwebte, wurde er gekonnt ins Schiff gezogen. Die weitere Überfahrt war dann entsprechend. Harald und mein Vater hatten sich aufgemacht, die Schiffs-Bar zu suchen. Hatten die dann auch gefunden. Der Barkeeper jedoch signalisierte, dass er nichts ausschenken könne, wegen des Seegangs. Harald und mein Vater appellierten an seine Gastfreundschaft und erwähnten den entgehenden Umsatz. Das überzeugte ihn dann doch irgendwie und er hatte fortan zwar die einzigen, aber auch die besten Gäste, die man in dieser Situation haben konnte. In Venedig angekommen, hatte sich die Situation in sofern gebessert, dass das Schiff wenigstens anlegen konnte, und die im Gesicht grün und grauen Gäste verließen immer noch schwankend das Schiff.
Eine von mir so sehr gewünschte Fahrt mit einer Gondel blieb mir allerdings bei diesem Venedigbesuch nicht vergönnt. Das war so exorbitant teuer, das hätte die Urlaubskasse gesprengt. In meine damalige Währung umgerechnet hätte es 30 Portionen Pasta aciuta oder 20 Portionen Calamari fritti, bzw. frittierte Sardinen gekostet. Schlimm genug, dass man hier für eine Portion Spaghetti dreimal so viel wie in Caorle zahlte, und für Servietten und Besteck extra zahlen musste. Insgesamt verblassten die beeindruckenden Bauwerke etwas, hinter dem Gefühl ungeheurem Nepp ausgesetzt zu sein. Zurück nach Caorle fuhren wir übrigens mit dem Bus.
So könnte es mit den Episoden ständig weiter gehen. Vielleich kommt ja später noch was. Mal sehen. Kurz und gut. Es war immer was geboten.
Schreibe einen Kommentar