21) Die Modelleisenbahn

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Mein Vater hatte ja, sehr zum Entsetzen meiner Mutter, eine Modelleisenbahn in der Zwei-Zimmer Wohnung angeschleppt. Diese wurde dann in die Verbannung geschickt und musste in Kartons auf den Tag ihrer Wiedererweckung warten.

Der Tag kam, als nun im eigenen Haus ein geeigneter Kellerraum vorhanden war. Darin befanden zwar auch noch Regale für allerhand Eingemachtes und Eingekochtes, eine Werkbank mit einem Schraubstock, ein Werkzeugschrank und ein Kleiderschrank. In jenem Kleiderschrank waren Kleidungsstücke aus einer teilweise fernen Zeit, die einfach zu gut oder wertvoll waren, um sie wegzuwerfen. Auch dicke Mäntel, von denen man sich nicht trennen wollte, da die Zeit des Frierens und der Entbehrungen noch gut in Erinnerung waren. Auch ein Fuchspelz mit Füßen, Kopf und Schwanz war unter den Exponaten. Den hatte ich relativ oft hervorgeholt, da er so einen gewissen Schauder auslöste. Was jedoch alle Kleidungsstücke vereinte, war ein penetranter Geruch nach Mottenkugeln.

Es wurde also ein geeignetes Brett angeschafft, um der Modelleisenbahn ihren Platz zu geben. Für mich war das Brett von Anfang an zu klein dimensioniert, aber da hatte ich ja noch keinen Einfluss drauf.

Ursprünglich handelte es sich bei den Eisenbahnteilen um Schienen und Fahrzeuge der Marke „Trix“. „Trix“-Artikel arbeiteten mit Gleichstrom und hätten eine Lokomotive über die Räder mit dem nötigen Strom versorgt. Es gab jedoch gar keine Lokomotive, sondern nur Waggons und Schienen. Der Spielwaren „Kaiser“ in der Bahnhofstrasse führte die Marke „Trix“ nicht. Hier gab es nur Produkte der Firma „Märklin“, deren System auf Wechselstrom basierte, und die Schienen einen Mittelleiter hatten. Dieser versorgte eine Lokomotive über einen unten angebrachten Schleifer mit Strom.

Zu Weihnachten bekam ich dann meine erste Lokomotive geschenkt. Eine „V200“, die ich schon in der Vorweihnachtszeit im Schaufenster vom „Kaiser“ fahren sehen konnte. An jenem Schaufenster drückte ich mir immer in der Vorweihnachtszeit die Nase platt, da Herr Kaiser, der Hauptverantwortliche für den Bereich Modellbahn, hier jedes Jahr die neuesten Modelle der Firma Märklin im Kreis fahren ließ. Grundsätzlich war immer ein Schaufenster komplett mit Artikeln zur Modelleisenbahn Spurweite „H0“, was sonst, dekoriert. Das löste natürlich generell große Sehnsüchte bei allen Modellbahnern aus.

Die „V200“ brachte nun die große Misere des zwischenzeitlich auf dem Brett installierten Equipments an den Tag. Abgesehen davon, dass die Häuser und sonstigen Artikel, die für ein Eisenbahnambiente sorgen sollten, total unpassende Maßstäbe besaßen, waren nun „Märklin“ und „Trix“ Schienen zusammengesteckt worden, was dafür sorgte, dass die „V200“ sich nur auf den „Märklin“ Schienen bewegte, und auf dem „Trix“ Teil keinerlei Bewegung zeigte. Generell arbeitete mein Vater mit sehr viel Gips, und bemalte diesen dann mit Ölfarben, die aus einem Farbpulver und Öl zusammen gerührt wurden. Hässlich.

Die Eisenbahn, wie man sie auf dem Bild sehen kann, hatte daher auch keine Zukunft. Weihnachten im darauf folgenden Jahr bekam ich dann noch eine kleine „E-Lok“ geschenkt. Wobei man eigentlich sagen muss, dass sich diese Geschenke mein Vater schon auch ein bisschen selbst machte.

Zwischenzeitlich hatte mein Vater auch ein elektrisch betriebenes Weichenpaar und ein elektrisch angesteuertes Signal angeschafft. Man musste zwar die Züge immer noch über die „Trix-Schienen-Passagen“ von Hand schieben, aber Weichen und Signale sollten nun per Schalter betrieben werden. So ein Quatsch. Also es ging nun darum die Weichen und das Signal zu verkabeln und anzuschließen. Nachdem mein Vater ca. zwei Stunden damit verbrachte, die Dinge zum Laufen zu bringen, schritt ich ein. Aufgrund meiner nunmehr siebenjährigen Lebenserfahrung und der enormen Kenntnisse in Sachen Elektrotechnik, brachte ich die Weichen sofort dazu, zu tun, was sie zu tun haben. Nämlich sich zu stellen. Und das per Knopfdruck. Das brachte meinen Vater dermaßen in Rage, dass er mit den Worten: „Dann machst Du am besten alles alleine“, den Keller verließ und fortan nie mehr etwas an der Eisenbahn machte. Da ich das Prinzip der Anschlüsse erkannt hatte, gelang es mir auch gleich noch das Signal funktionstüchtig anzuschließen. Was ich meinem Vater natürlich später auch noch brühwarm unter die Nase rieb. Was seine Laune nicht verbesserte und seinen Entschluss, sich aus dem Modelleisenbahnhobby zu verabschieden, bekräftigte.

Die erste Modelleisenbahn

Nun hatte ich freie Hand und es galt fortan, die nötigen Geldmittel zu beschaffen, um den Umbau nach meinem Geschmack voran zu treiben. Hierzu waren Weihnachten, Geburtstag und spendable Bekannte und Verwandte bestens geeignet. Ich riss alles vom Brett herunter. warf die ganzen unmaßstäblichen Sachen (vieles noch aus Blech) in den Müll und begann nach und nach mit dem Neubau.

Als ich ca. zwölf Jahre alt war, hatte sich die Eisenbahn sehr schön entwickelt. Das Modelldorf hatte alles, was ein Dorf so brauchte, und die Technik funktionierte auch. Zwischenzeitlich war auch noch eine französische Elektrolok samt passender Waggons dazu gekommen. Ich erwähne das, weil zu dieser Zeit einige Häuser weiter eine neue Familie in das Haus meiner Freundin Sibille eingezogen war. Die Familie hatte zwei Jungs, und der jüngere davon war ungefähr eineinhalb Jahre älter als ich. Er hieß Ulli, bzw. Ullrich. Was aber Keiner zu ihm sagte. Die Familie hatte vorher in Bad-Hersfeld gelebt. Was für ein Zufall. Der Vater war leitender Angestellter in einem Unternehmen. Keine Ahnung welches. Jedenfalls hatten sie eine riesige Modelleisenbahn mitgebracht, die den kompletten Raum im zweiten Stock ihrer Reichsheimstätte einnahm. Der Raum war riesig. Bei uns hatte da die Familie Zucker, Frau Diwisch und dann meine Schwester mit ihrem Mann Platz gehabt, und hier war nur die Modellbahn drin. Alles war höchst professionell verbaut. Ein richtiges beleuchtetes Stellpult, wie in einem echten Stellwerk. Eine funktionierende Oberleitung und einen Nachbau der Firma „Benno Schilde“, einer der größten Arbeitgeber in Bad-Hersfeld. So etwas hatte ich noch nie gesehen.

Ich durfte meine französische Lok und die passenden Wagen mitbringen und dort, von der funktionstüchtigen Oberleitung gespeist, fahren lassen. Wir wurden immer und immer wieder ermahnt ordentlich und mit gebührender Vorsicht zu spielen. Nun ja, mit spielen hatte es nicht so viel zu tun. Es war eher ein bedienen. Vom Spielen mit der Modelleisenbahn hatte ich so meine eigenen Vorstellungen. So hatte ich es auf meiner Anlage auch mal regnen lassen, um dann zu erkennen, dass die Schienen sehr realitätsnah zu rosten begannen und keinen Strom mehr an die Lokomotiven transportierten. Ich habe dann einige Stunden mit dem abschmirgeln der Gleise zugebracht. Wenn es einen Verkehrsunfall gab, mussten natürlich die Fahrzeuge entsprechend verformt werden. Ein Haus das brannte, brannte eben. Und wenn man in die Kneipe ging, ging man in die Kneipe. Aber dazu mehr in einem anderen Kapitel. Alles Dinge, die auf der Superanlage niemals stattfinden würden.

Zu dieser Zeit begann auch schon die Pubertät ihre ersten Auswirkungen zu zeigen. Andere Interessen, wie z.B. das andere Geschlecht rückte mehr und mehr in den Fokus. Es gab eine Clique bestehend aus Schulfreunden und Jugendlichen aus der näheren Umgebung, die mich umtrieb. So rückte die Modelleisenbahn stark in den Hintergrund.

Mit sechzehn Jahren wurde sie abgebaut und verkauft. Es kamen Leute und begutachten, was zu verkaufen war. Erzählten mir was vom Pferd, boten irgend einen Schleuderpreis und ich ahnungsloses Schaf akzeptierte. Heute weiß ich, welche Dimension meine Blödheit hatte. Egal, ich brauchte das Geld für ein Moped.

Losgelassen hat mich das Thema Modelleisenbahn dann aber doch nie so richtig. Als ich mit dreißig meine Firma hatte und recht gut verdiente, kaufte ich jeden Monat für tausend Mark Eisenbahnzeug ein. Jetzt Spur N. Ich sammelte das alles in Kisten. Baute ab und zu ein Häuschen zusammen. Das macht den Kopf frei. Ist echt zu empfehlen. Danach verschwand das Bauwerk in einer Kiste. Irgendwann waren es sechs Umzugskartons voller Gleise, Signale, Weichen, Bäumen, Seilbahnen, Häusern, Autos und was man sonst so braucht. Diese Kartons wurden immer mit umgezogen. Lebten mit uns auf Sardinien und in Tunesien und wurden erst im Jahr 2007 ausgepackt. Nun konnte die neue Modelleisenbahn entstehen, bis das Hobby im Jahre 2022 eingestellt wurde. Das Digitalisieren der Modellbahn hatte mich zwischenzeitlich so viele Nerven gekostet, dass ich mal wieder alles verkauft habe, und vom Erlös mein neues, altes Hobby, die Produktion elektronischer Musik wieder aufleben lassen konnte.

Die neue große Anlage, vom Enkel bestaunt

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