14) Es wird gefeiert

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Wie schon mal erwähnt, wurde trotz permanenter Geldnot viel gefeiert. Am meisten bei uns zu Hause. Irgendwie reichte es dann doch immer für ein bisschen Bier und/oder man hatte sich auch ein Wein-Abo von irgend einem dieser Weinvertreter aufschwatzen lassen. Eine gute Studie dieser Zeit findet man in dem Loriot Sketch mit dem Staubsaugervertreter der Firma Heinzelmann und dem Weinvertreter der Firma Pallhuber und Söhne. „Verstöpselt und verkorkst von Pallhuber und Söhne – hicks“. Ach ja, die Produkte der Likörfabrik Wagner nicht zu vergessen.

Der Heinzelmann hieß in Wirklichkeit Vorwerk und wurde auch im Haustür-Geschäfts-Verfahren verkauft. Meine Mutter hatte sich auch da mal wieder beschwatzen lassen und einen Vorwerk „Kobold“ Staubsauger per Ratenkauf erworben. Zum Verdruss meines Vaters. Und die Trockenhaube zum Haare trocknen gleich mit. „Es saugt und bläst der Heinzelmann …“ hätte man auch bei uns zu Hause drehen können.

Für mich bedeutete das einen sehr frühen Zugang zum Alkohol. In meiner mir selbst zugeteilten Funktion als Mundschenk sah ich mich dazu berufen, nicht vollständig geleerte Gläser zu leeren. Und zwar in mich. So kam es, dass bei einer jener Feiern die Aufgabe von mir so gewissenhaft ausgeführt wurde, dass ich aus dem tiefen, alten Chesterfield Sessel, der im Wintergarten stand, nicht mehr hoch kam. Irmgart hatte das wohl bemerkt und wollte mich daraufhin zu Bett bringen. Schon damals, mit vielleicht zehn Jahren, habe ich mich nicht so stark betrunken, dass ich bewusst,- und willenlos gewesen wäre. Bestimmt hätte sie mir auch meinen Schlafanzug anziehen wollen und wer weiß was noch. Wusste ich doch, dass Irmgart im alkoholisierten Zustand gerne etwas wuschig und auch schon mal übergriffig wurde. Ihre Stripteaseeinlagen hatte ich ja schon erleben dürfen. Also, aus dem Sessel helfen, OK. Aber ins Bett bringen, nein Danke.

Ich liebte es, wenn ich im Bett lag und konnte die Geräusche der Feiernden hören. Am schönsten war das, wenn im Sommer im Garten gefeiert wurde, und die Geräusche durch mein Fenster zu mir ins Zimmer drangen. Dabei konnte ich so gut einschlafen, denn es waren fröhliche und friedliche Geräusche.

Silvesterfeiern waren auch immer toll. Sie fanden nicht immer bei uns statt. Ich durfte, als ich noch klein war, natürlich auch mit. Als Feuerwerk für mich gab es „Bengalische Hölzer“. Sie waren wie dickere Streichhölzer und brannten grün oder rot ab. Mein Vater hatte sein Standard-Feuerwerk. Jedes Jahr „Schweitzer Kracher“ und „Heuler“. Beide wurden an einer Reibfläche angezündet und mussten dann schnell weggeworfen werden.

Als ich klein war, schaffte ich es meistens nicht bis Mitternacht wach zu bleiben. Ich schlief dann ein und wurde zum Feuerwerk geweckt. Einmal wurde ich nicht geweckt und wachte vom Feuerwerkslärm auf. Mich nicht zu wecken hatte einen Grund. In Ermangelung von ausreichend Feuerzeugen und Zündhölzern hatte man meine „Bengalischen Hölzer“ zum Zigaretten anzünden verwendet. So, jetzt war ich also wach und wollte mein Feuerwerk abbrennen. Da war aber nichts mehr davon da. Ich hatte bitterlich geweint. Für den Rest der Nacht war ich nicht mehr zu versöhnen. Es klingt hart, aber ich verspürte sogar eine gewisse Genugtuung als meinem Vater ein „Schweizer Kracher“ in der Hand explodierte und er sich erheblich verletzte. Das spürte er allerdings erst so richtig am nächsten Tag, als die Wirkung des Alkohols nachließ.

Es gab eine denkwürdige Silvesterfeier bei uns zu Hause. Es wurde mal wieder ausgiebig gefeiert und den alkoholischen Getränken gefrönt. Mein Vater hatte eine Zigarre geschenkt bekommen, die ungefähr 30cm lang und 5cm dick war. Ich war dabei bis ca. 1 Uhr nachts und ging dann ins Bett. Gegen 6 Uhr morgens hörte ich immer noch Lachen und laute Unterhaltung. Ich ging hinab in unser Wohnzimmer und da saßen immer noch Gäste und mein Vater. Die Riesenzigarre lag halb abgebrannt in unserem Aschenbecher, einem Werbegeschenk einer Tageszeitung. Wahrscheinlich vom Werbe-Willi mitgebracht.

Nichts deutete darauf hin, welche dramatischen Dinge sich in der Nacht zugetragen hatten. Mein Schwager Klaus hatte noch ein Paar aus Frankfurt nach Hause gefahren. Alkohol und Autofahren schlossen sich zu dieser Zeit noch nicht aus. In Frankfurt dann hatte er einen Unfall an einer Kreuzung in der Innenstadt. Zum Glück hatte er seine Fahrgäste bereits abgesetzt. Das Auto, ebenfalls ein Renault 4CV, war jedenfalls Schrott. Eigentlich wollte mein Schwager, dass meine Schwester in begleitet. Die war aber zu müde und vor Abfahrt ins Bett gegangen. Das hat ihr dann wohl das Leben gerettet, denn die Fronthaube hatte sich auf der Beifahrerseite wie ein Messer durch das Armaturenbrett bis zur Rückenlehne des Beifahrersitzes geschnitten. Ein Beifahrer wäre in der Mitte geteilt worden. Mein Schwager war eingeklemmt und musste geborgen werden. Er wurde in ein Krankenhaus eingeliefert und hatte ein paar Brüche an den Beinen und, und das sollte ihm für den Rest seines Lebens Probleme bereiten, rechts eine gebrochene Ferse, die nie mehr so wurde wie zuvor.

Zu Hause wurde munter weiter gefeiert. Die Stimmung wurde erst getrübt, als meine Schwester ins Zimmer kam und fragte, wo denn ihr Mann sei, Der müsste doch eigentlich schon längst wieder da sein. Jeder normal empfindende Mensch wird sich vorstellen können, wie ihre Reaktion war. Und ihr Verständnis für die bis dato gelöste Stimmung.

Fahren unter Alkohol wurde erst am 14. Juni 1973 sanktioniert. Ab da galt dann die 0,8 Promille-Grenze. Davor waren meine Eltern oft in den Rheingau, nach Kiedrich gefahren und hatten dort gerne in der einen oder anderen Straußwirtschaft dem Weingenuss gefrönt. Danach ist man dann beseelt nach Hause gefahren.

Wenn bei uns gefeiert wurde, war meine Mutter meist etwas schneller beschwipst als der Rest der Gesellschaft. An diesem Punkt ging meine Mutter „Engerlinge“ holen. „Engerlinge“ nannte man die Erdnuss-Flips, die durch ihr Erscheinungsbild an Engerlinge erinnerten. Wenn meine Mutter bekannt gab, sie gehe jetzt noch ein paar „Engerlinge“, also eine neue Tüte Erdnuss-Flips holen, war jedermann klar, sie kommt nicht zurück, da sie ins Bett gegangen war. Das war dann in der Zukunft der „running gag“. Die Frage: „Gehst du Engerlinge holen?“ hätte auch lauten können: „Gehst du ins Bett?“. Sie ging immer irgendwann „Engerlinge“ holen.

Und es wurde weiter gefeiert. Geburtstage im Urlaub. Da hatten dann gleich 5 Leute Geburtstag, mein Vater, meine Mutter, Irmgart, Anton und die ältere Gabi. Fasching, Silvester und sonstige Gründe die sich finden ließen.


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