11) Die verhasste Schulzeit beginnt

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Der Gesichtsausdruck verrät, die Zuckertüte macht´s nicht besser

Für mich war der Schulbeginn kein Grund zur Freude. Die ersten sechs Jahre meines Lebens hatte ich zu Hause, behütet von meiner Mutter, verbringen dürfen. Man hatte mich nicht in einen Kindergarten gegeben, wie das einige Familien mit ihren Kindern taten. Ein fürchterlicher Gedanke für mich. So, jetzt war es dann aber soweit. Ich musste mein schützendes zu Hause stundenweise verlassen, um mit allerhand Menschen zusammen zu sein, die ich nicht kannte und teilweise nicht mochte. Irgendwelche Leute, die sich Lehrer nannten, sollten jetzt an die Stelle meiner geliebten Mutter treten, oder was? Das kann nicht funktionieren.

Es funktionierte auch nicht. In der ersten Klasse waren wir 49 Kinder. Unsere blonde und sehr attraktive Klassenlehrerin hieß Frau Hackelberg. Untergebracht waren wir in der „Brüder Grimm Schule“. Diese wurde ein halbes Jahr nach Einschulung wegen Einsturzgefahr geschlossen und wich viele Jahre später einem Neubau.

An die Mitschüler erinnere ich mich nur noch wage. Außer einer Mitschülerin namens Susi. Susi war voll auf der „Schleimspur“ von Frau Hackelberg. „Kann ich Ihnen ein Brötchen schmieren“, „soll ich Ihnen einen Tee machen“ usw. usw.. Widerlich.

Bei Susi zu Hause gab es jedoch ein nicht unerhebliches Problem. Sie wohnte in der Parallelstraße, ebenfalls in einer Reichsheimstätten-Doppelhaushälfte. Die rechte Ecke unseres Gartens hing quasi an der rechten Ecke ihres Gartens. Von meinem Zimmer im ersten Stock konnte ich hinüberschauen und sah regelmäßig morgens ihren Vater, der sich immer am Fenster mit Blick in den Garten rasierte. Nur so zwischendurch. Geradeaus, also Garten an Garten konnte ich immer morgens beobachten, wie die Frau des Hauses, den Nachttopf im Komposthaufen entleerte. Komische Leute. Den Mann sah man eigentlich nie. Wenn die Balkontüren geöffnet waren, blickte man in ein schwarzes Loch. Echt gruselig.

Zurück zu Susi´s Vater. Dieser war eines Tages nicht mehr am Fenster zu sehen. Dafür sahen wir ihn dann etwas später im Fernseher. Bei einem Bericht über die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt wurde er als Angeklagter in den Gerichtssaal geführt. Er wurde nach seiner Untersuchungshaft zwar aus Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt, aber er hatte seine Macke weg. Er war fortan nie mehr rasierend am Fenster gesehen worden. Susi und ihre Schwester hatten seit dem Fernsehbericht sowieso kein leichtes unbeschwertes Leben mehr. Sie kam dann auch nicht mehr zur Schule. Zumindest nicht in die, in der ich gerade war.

Als die Schule wegen baufälligkeit geschlossen wurde, musste unsere Klasse in eine Baracke ausweichen. Jene Baracke stand in der Fröbelschule in der Zeppelinstraße. Im Volksmund auch „Bretter-Gymnasium“ genannt. Die Schule war eigentlich eine Sonderschule, zuständig für die „schweren Fälle“. Man hatte also den Schulhof etwas reduziert und hier die Baracke gebaut, die nun vier Klassenzimmer der Volksschule (heute heißt das Grundschule) beherbergte. Die Lehrer waren teilweise auch andere als zuvor. Es gab da eine ältere Lehrerin für den Schreibunterricht. Diese unterstrich ihre Argumentation gerne mal mit einem Schlag mit der flachen Seite des Tafellineals auf die Tischplatte. Das Geräusch hatte etwas von einem Schuss und verfehlte normalerweis seine Wirkung nie.

In jener Zeit wurde in der ersten Klasse nicht mit Füller, Bleistift oder gar Kugelschreiber in ein Heft geschrieben, sondern man kratzte mit einem Griffel auf einem Schiefertäfelchen herum. Am Schiefertäfelchen hing meistens ein kleines Schwämmchen um die Tafel wieder vom Geschriebenen zu befreien. Jenes Schwämmchen hing dann bei fast allen Schülern der ersten Klasse dekorativ seitlich aus dem geschlossenen Schulranzen, wenn man diesen auf dem Rücken durch die Gegend schleppte. Nun, das Kratzen auf dem Täfelchen mit besagtem Griffel, machte hier und da sehr unangenehme Geräusche. So in Richtung, mit den Fingernägeln die Schultafel entlang kratzen. Da krieg ich beim Schreiben Gänsehaut. Die alte Lehrerin hatte mich also ermahnt, den Griffel bei den Schreibübungen bitte so zu halten, dass das Schreibgerät keine Geräusche auf dem Täfelchen erzeugt. Was nicht gelang. Sie versuchte ihrem Anliegen dann durch den Linealschuss direkt vor mir auf dem Schultisch Nachdruck zu verleihen. Als auch dieses Argument versagte, gab sie mir eine Ohrfeige und verwies mich des Klassenzimmers. Zuhause wurde diese Aktion mit den Worten: „An einer Ohrfeige ist noch keiner gestorben“ quittiert und war somit erledigt. Man stelle sich das mal heute vor. Rechtsanwälte, Medien, alle wären mit der Aufarbeitung beschäftigt. Damals war es nicht so schlimm und zum Glück starb dererlei Lehrerschaft irgendwann aus.

Die Pausen verbrachten wir zusammen mit den „schweren Fällen“, die komischer Weise das gleiche spielten wie meine Klassenkammeraden und ich. Deshalb konnten wir damals gar nicht so recht verstehen, warum die eine extra Schule brauchten.

Das Kapitel mit dieser Baracke war dann nach ein paar Monaten auch vorbei. Neu-Isenburg hatte einen neuen Stadtteil bekommen. Gravenbruch. Dort gab es vorwiegend Hochhäuser und einen Straßenzug mit noblen Villen. Hier wohnte alles, was die Bevölkerung so zu bieten hatte. Sozialfälle in Sozialwohnungen, der normale Bürger in großzügigen Wohnungen zu erschwinglichen Mieten, Zuhälter mit ihren Mitarbeiterinnen in geräumigen Eigentumswohnungen, Ivan Rebrov, die Jakob Sisters und die Reichen aus den Villen. Deren Kinder sollten auch in den Genuss einer Schulbildung kommen. Deshalb wurde eine ziemlich überdimensionierte Schule gebaut.

Meine Klassenkammeraden und ich wurden jetzt täglich mit Bussen von Neu-Isenburg nach Gravenbruch und nach Schulschluss zurück gekarrt. Das brachte mir übrigens den ersten Fernsehauftritt meines Lebens ein. Der Hessische Rundfunk hatte in der täglichen Hessenschau darüber berichtet und ich war kurz im Bild, als ich den Bus verließ. Das stellte jedoch nicht den Beginn einer großen Fernsehkarriere dar.

Wir hatten wieder teilweise neue Lehrer, die zwar nicht mehr mit Linealen schossen und Schüler schlugen, trotzdem musste man sich auch erst wieder dran gewöhnen. Eine Ohrfeige gab´s trotzdem. Diesmal aber von einer Mitschülerin aus der Parallelklasse, die auch in einer Parallelstraße von meiner Heimatstraße wohnte. Sie war auch ab und an bei unseren Waldspielen dabei gewesen und war irgendwie komisch. Ein Mädchen halt. Keine Ahnung, was eigentlich der Auslöser für die Ohrfeige war, aber es kam halt dazu und wurde zu Hause wieder mit den Worten: „Von einer Ohr…..) bedacht und galt somit als erledigt.

Als Schüler hatte ich es irgendwie geschafft nicht sitzen zu bleiben und konnte meine Noten auf einem schlechten, aber einem Niveau ausreichend für eine Versetzung halten. Das ermöglichte mir den Sprung in die 5.Klasse der Mittelschule (heute Realschule). Dieses Kapitel wird später ausführlicher beleuchtet.


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