28) Der Alkohol und die Konfirmation

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Es war die Zeit, in der der evangelisch getaufte Christ in den Konfirmantenunterricht geht, um dann an dessen Ende durch die Konfirmation (Bestätigung) die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft zu bestätigen. Für mich war aber die Erwartung üppiger Geschenke der viel größere Antrieb. Ich glaube, so richtig wusste ich auch nicht, was Konfirmation eigentlich bedeutet, da das Wort Confirmation im Englischunterricht noch nicht vorkam. Da ab dem vierzehnten Lebensjahr das Selbstbestimmungsrecht in religiösen Fragen gilt, war ich also 13 Jahre alt, als der Konfirmantenunterricht begann.

Es gab aber auch andere Dinge in jener Zeit, die eine wesentliche Rolle spielten oder zu spielen begannen. Da war zum Einen die Sexualität und die Entdeckung des eigenen Körpers und dessen Grenzen der Belastbarkeit. Letzteres speziell im Bezug auf die Erfahrungen mit Alkohol. Andere Rauschmittel kamen erst später ins Spiel. Wäre es so einfach zu behaupten, dass jemand, der in jungen Jahren dermaßen exzessiv mit Alkohol in Kontakt kommt, unweigerlich Alkoholiker werden muss, wäre ich wahrscheinlich schon längst an den Folgen dieser Krankheit gestorben. Daher ist für mich klar, Alkoholismus ist eine Krankheit. Für den, der sie bekommt, ist es egal, ob es viel oder wenig Alkohol war, der es auslöst. Der Eine wird Alkoholiker, der Andere bei gleichem Konsum eben nicht. Ach ja. Die Schule, in der so langsam alles zu eskalieren schien, war auch noch so ein Ding.

Ich glaube, ich erwähnte bereits, dass es dann, wenn meine Freunde und ich an der Modelleisenbahn spielten, immer möglichst realistisch zugehen musste. An jenem Tag war da ein Abend in der Dorfkneipe „zum Lamm“, die sich in der Modelleisenbahnlandschaft nahe des Bahnhofs und der Kirche befand. Letzteres sehr der Wirklichkeit nachempfunden. Zu diesem Zweck war mein Freund Detlef, der von seiner Oma ständig hundert Mark-Scheine zugesteckt bekam und daher immer ziemlich solvent war, zum „Bertz“, das SPAR-Lädchen in der Bahnhofstraße gegangen und hatte eingekauft. Zwei Flaschen Wermuth und eine Flasche „Zinn 40“ einen Kornbrand mit 40%. Im Zuge der spielerische Dramaturgie auf der Modellanlage kehrten wir dann beim „Lamm“ ein, um uns ordentlich die Kante zu geben, wie man es ja von zahlreichen Beispielen aus der Erwachsenenwelt kannte.

Einige ähnliche spielerische Szenarien hatten allerdings nur mit dem billigen Wermuth vom „Bertz“ stattgefunden. Diesmal kam dann noch der „Zinn40“ hinzu. Da an diesem Tag noch der Konfirmantenunterricht anstand, wurde das Besäufnis im „Lamm“ gegen 16.00Uhr beendet. Es hätte auch bis 16.30Uhr dauern können. Da wäre immer noch Zeit gewesen zum Unterricht pünktlich zu erscheinen, aber es gab da etwas, was ich unbedingt vorher noch erledigen wollte. Es gab nämlich ein Mädel mit Namen Romana, die laut den von meinen Mitschülern verbreiteten Gerüchten, sexuell Jungs gegenüber sehr aufgeschlossen zu sein schien. Sie hatte allerdings auch einen gewissen Ruf als unberechenbar und aufbrausend. So sollte sie einer Mitschülerin in der großen Pause im Streit eine Flasche auf den Kopf geschlagen haben. Mir gegenüber zeigte sie sich irgendwie wohlwollend und zahm. Da ich ja schon über eine gewisse Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht bzw. Geschlechtsteil gemacht hatte, fühlte ich hier eine Chance zur Vertiefung der Erfahrungen gegeben.

Ich sollte vielleicht kurz erklären, welche Erfahrung ich gemacht hatte. Es war bei einem der Wochenendausflüge in den Taunus. Die drei Familien waren mal wieder in Pfaffenwiesbach, wo Klaus mit seinem Kleinkalibergewehr schoss, Lothar und andere Ball spielten. Die Eltern herumsaßen oder lagen und sich hier und da ein Magenbitterchen gönnten. Die zwei Gabis hatten sich rechts und links von mir hingelegt und über uns eine Art Zelt gebaut. Dann fingen beide an meinen Pullermann zu befingern und luden mich ein, selbiges bei ihnen zu tun. Eine wirklich interessante und im nachhinein bereichernde Erfahrung. Welcher Gleichaltrige hatte schon solche Erfahrungen aufzuweisen. Die ältere der zwei Gabis war allerdings ziemlich feucht in jenem Bereich. Sie merkte, dass ich zurück zuckte und versicherte mir prompt, dass ich mir keine Gedanken machen müsse, denn es sei kein Pipi. Da ich mir nirgendwo die Hände waschen konnte, bemühte ich mich bis nach Hause, mit dieser Hand nichts mehr zu berühren.

Zurück zum vermeintlichen Rendezvous mit Romana. Sie war in irgend einer Jugendgruppe in der katholischen Kirchengemeinde St. Josef engagiert, wo ich sie an diesem Tag auch vermutete. Mein Freund Detlef hatte sein Rad nach Hause geschoben, wegen alkoholbedingter Gleichgewichtsproblemen. Ich bin natürlich gefahren. Sturzbesoffen stand ich an der St. Josef-Kirche und wartete auf meine künftige Gespielin. Die erschien aber nicht zur erwarteten Zeit. Erst eine viertel Stunde nach dem erwarteten Erscheinen erschienen einige Halbwüchsige, was auf ein Ende der Veranstaltung hinzuweisen schien. Sie war aber nicht dabei. Mist. Nun war es aber höchste Zeit in den Konfirmantenunterricht zu fahren. Es handelte sich dabei um ein eher labiles Fahrgefühl. Auf Höhe der Brüder Grimm Schule tuschierte ich den Randstein, und ich kam zu Fall. Besorgte Mitmenschen, die gab es damals noch, hoben mich wieder auf die Beine. Man überlegte einen Krankenwagen zu rufen, da ich offensichtlich auf den Kopf gefallen zu sein schien. In Anbetracht der bedrohlich vorrückenden Zeit, lehnte ich dieses Vorhaben vehement ab, schwang mich aufs Rad und eierte davon.

Im Gemeindezentrum der Johannisgemeinde, wo der Unterricht stattfand, angekommen, hatte der Unterricht anscheinend bereits begonnen. Ich erinnere mich, dass mit jeder Stufe, die ich die Treppe zum Gemeindesaal erklomm, mein Zustand schlechter wurde. Ich schaute durchs Schlüsselloch und sah der Pfarrer vor der an den Tischen sitzenden Schar der Konfirmationsaspiranten. Ich öffnete die Tür. Entschuldigte mich für die Verspätung und begründete diese mit dem Fahrradsturz. Da ich die Gabe besitze, mich auch in angetrunkenem Zustand ordentlich artikulieren zu können, wurde mir verziehen, und ich setzte mich an meinen Platz. Ich weiß es noch wie heute. Kaum hatte ich vor mir den Katechismus geöffnet, erbrach ich mich in einem gewaltigen Schwall auf den selben. Der Pfarrer eilte sofort herbei, um mich auf die Toilette zu bringen. Einige meiner Mitschüler hatten seine Vermutung, dass es wohl am Fahrradsturz liegen müsse bestätigt und geschildert, dass sie gesehen hatten, dass ich wohl auf den Kopf gefallen war. Keiner nahm den Alkoholgeruch war, oder wollte ihn nicht wahrnehmen, da so etwas ja eigentlich nicht möglich war, in diesem Alter.

Zwischenzeitlich hatte ich nicht nur den Gemeindesaal gründlich eingesaut, nein, auch die Toilette befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Und mitten drin, ich. Der Pfarrer hatte zwischenzeitlich sein Auto im Bereich der Rücksitzbank mit einer Plastikplane ausgelegt und war am Gemeindesaal angekommen. Man geleitete mich, den vermeintlich durch eine Gehirnerschütterung Verletzten, zum Auto. Setzte mich auf die Plastikplane und fuhr mich nach Hause. Dort war in der Zwischenzeit meine Mutter von der Arbeit heim gekehrt und war völlig aufgelöst ob der Schilderungen des Herrn Pfarrer. Sie rief umgehend Herrn Dr. W. an, um den Verletzten untersuchen zu lassen. Herr Dr. W. erschien auch recht flott. Mit den Worten „Na, was hat er denn wieder, der Knilch“ betrat er mein Zimmer. Er beugte sich über mich um meinen Kopf zu untersuchen, ließ aber ziemlich schnell wieder von mir ab und wand sich an meine besorgte Mutter mit den Worten: „Der hat keine Gehirnerschütterung, der ist stock besoffen“. Und zu mir gewandt sagte er dann: „Was haste denn gesoffen?“. Ich gab wahrheitsgemäß an: „Wehrmuth und Zinn40“ und es folgte ein Rat, den ich für den Rest meines Lebens berücksichtigt habe: „So einen Dreck trinkt man nicht. Sauf Bier, das ist wenigstens gesund“. Er verabschiedete sich mit einem obligatorischen „gute Besserung“, gab meiner verstörten Mutter noch den guten Rat, mich einfach in Ruhe zu lassen. Morgen sieht alles schon wieder besser aus. Der Vorfall wurde nie aufgearbeitet. Nicht zu Hause und nicht im Konfirmantenunterricht. Für den Pfarrer blieb es bei der Diagnose Gehirnerschütterung, und er war glücklich, mich vor Schlimmerem bewahrt zu haben.

Die Konfirmation selbst war wieder viel mit meiner Angst vor einer großen Menschenmenge auftreten zu müssen verbunden. Ich brachte es irgendwie hinter mich und war sehr froh, dass ich zu dem obligatorischen gemeinsamen Abendmahl am nächsten Tag nicht dabei sein musste, da ich mit meiner Schulklasse für vierzehn Tag in das Landschulheim nach Waldmichelbach fahren durfte.

Die Feier zu Hause war sehr schön, und die Flut der Geschenke hatte meine Erwartungen sogar noch übertroffen. Dabei stach ein Geschenk in meiner Erinnerung besonders hervor. Eine ältere Nachbarin, die mit der damaligen Jugend, ihrem Benehmen und Aussehen, erhebliche Schwierigkeiten hatte, schenkte mir die Single „Get back“ von den Beatles. Keine Ahnung, wer sie beraten hatte, aber sie traf voll ins Schwarze. Wenn ich so etwas erwartet hätte, dann bestimmt nicht von ihr. Die Schallplatte fuhr dann auch mit ins Landschulheim, dem ich ein separates Kapitel widmen möchte.

Das Konfirmanten-Foto. Teilweise noch immer bekannte Gesichter.

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