22) SCN

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Wie schon in einem anderen Kapitel erwähnt, hatte der Schwimmsport einen hohen Stellenwert für die Familie und insbesondere für meinen Vater. Die Erfolge meiner Schwester galt es nach Möglichkeit zu überbieten. Wer konnte da besser geeignet sein als der einzige männliche Nachkomme, also ich. Ich wurde daher mit ca. 8 Jahren zum Mitglied im Schwimmclub Neu-Isenburg gemacht.

Der „SCN“, also der Schwimmclub Neu-Isenburg war als Talentschmiede bekannt. Dies hatte zur Folge, dass alle Talente, die in irgend einer Weise für größere Sportereignisse geeignet waren, von anderen Clubs abgeworben wurden. Dort waren meistens die Trainingsbedingungen und die Unterstützung besser. Also wurden wieder neue Rohdiamanten des Schwimmsports herangezogen. Und so einer war selbstredend, ich. Dachte man zumindest.

Ein großes Manko war die Tatsache, dass Neu-Isenburg über kein Hallenbad verfügte. Das gestaltete das Training im Winter schwierig. Man wich daher auf Hallenbäder in Obertshausen und Mühlheim am Main aus. Winter, das ist die Jahreszeit mit Schmuddelwetter, es ist früh dunkel und kalt. Das macht so gar keine Lust auf schwimmen. Die Recken des SCN standen somit einmal in der Woche abends, wenn der reguläre Betrieb des Hallenbades beendet war, in der Kälte und warteten auf den Bus, der sie zum Training bringen sollte. Ich saß also in dem Bus, sah wie sich die Lichter der Orte, die wir durchfuhren in den Tropfen auf der Fensterscheibe brachen. Nachts war ich an all diesen Orten, die wir durchfuhren, noch nie gewesen. Es war ungemütlich und ich hatte Heimweh.

Nun fand das Training statt. Viel zu wenig um eine Leistungssteigerung zu erzielen. Die zwei Stunden Bahnen ziehen konnten aller höchstens einen Leistungsstand am Leben erhalten, und das auch nur, wenn relativ wenig Leistungsstand am Leben zu halten war. Danach saßen wir alle wieder im Bus. Mit nassen Haaren, Wasser im Ohr und nach Chlor stinkend. Ich freute mich auf zu Hause und sonst nix.

Im Sommer war das Training wesentlich intensiver. Es fand abends statt, wenn die Besucher das Waldschwimmbad verlassen hatten. Bahn um Bahn wurde das 50m Becken durchquert. Oder besser gesagt durchquält. Zehn Bahnen Brust, zehn Bahnen Beinarbeit mit einem Brett in den Händen, zehn Bahnen irgendwas. Rücken, Kraulen oder Schmetterling. Letzteres war für mich die schwierigste Disziplin und wurde daher gerne mal vergessen. Es wurden die Saltowende und die verschieden Starts trainiert. Halt alles, was der kommende Olympionike so braucht.

Er kam. Der Tag, an dem gezeigt werden sollte, wie weit man es gebracht hat. Ausscheidungskämpfe der Altersgruppen. Da war ich ungefähr zehn. Ich wurde Bester meiner Altersgruppe. Da war natürlich klar, dass das Ziel einen neuen Schwimmstar in der Familie zu haben in greifbare Nähe gerückt war. Ich sonnte mich natürlich auch ein wenig in meinem Erfolg. Demonstrierte im Schwimmbad-Alltag jedem Interessiertem und natürlich auch denen, die es nicht interessierte, mein schwimmerisches Talent.

So hätte es für mich auch bleiben können. Das war für meine Verhältnisse ausreichender Ruhm und Ehre. Nicht aber für meinen Verein. Jetzt galt es natürlich sich dem Vergleich mit Schwimmern aus anderen Vereinen zu stellen. In jedem Jahr gab es in Neu-Isenburg das sogenannte „Abendschwimmfest“. Mit Publikum und Verpflegungsständen aller Art. Die Rennen gegen die anderen Vereine fanden unter Flutlicht statt. Ich war eingeteilt für das 50m-Brust-Rennen. Irgendwann gegen 21:00Uhr, es war bereits dunkel, stand ich nun auf dem Startblock der Bahn 8. Die in Schwimmrichtung am weitesten rechts gelegene Bahn, direkt am Beckenrand. Ich war unfassbar aufgeregt. Die Familie war unter den Zuschauern, folgende schwimmerische Großtaten erwartend. Da stand ich nun auf dem Startblock und erwartete das Startsignal. Der Pfiff ertönte und ich verließ den Startblock kopfüber Richtung Wasseroberfläche, so wie ich es hunderte Mal geübt hatte. Ich tauchte in das Wasser und verlor wegen des ungewohnten Flutlichts völlig die Orientierung. Alles flimmerte und spiegelte sich irgendwie. Da spürte ich plötzlich den Beckenboden und wusste, dass ich viel zu tief eingetaucht war. Als ich es wieder an die Wasseroberfläche schaffte, waren meine Mitstreiter bereits durch das halbe Becken gepflügt. Meine Position war ohne jegliche Chance. Ganz im Gegenteil, ich verzögerte sogar den kompletten zeitlichen Ablauf des Schwimmfestes. Wenigstens kam es mir so vor. Am Ziel angekommen, war ich nicht in der Lage mich gekonnt, wie sonst, wenn Mädels oder ein anderes geeignetes Publikum in der Nähe war, aus dem Wasser auf den Beckenrand zu schwingen. Ich nahm die Leiter und verschwand direkt in eine Ecke unter dem Sprungturm. Diese Ecke unter dem Sprungturm sollte mich fortan bei jedem Schwimmbadbesuch, der mich an diese Stelle brachte, an die Schmach jener Nacht erinnern.

Für mich war mit diesem Ereignis das Thema Schwimmkarriere erledigt. Ich ging noch einige Zeit zum Training, und die Trainer wurden nicht müde, mir zu versichern, dass sie meine Ausnahmesituation beim Schwimmfest verstehen. Man hatte festgestellt, dass ich in der Disziplin „Kraul“, heute „freestyle“, noch viel schneller sei und man jetzt mehr Augenmerk in diese Richtung lenken wolle. Ich hatte keinen Bock mehr auf den ganzen Kram. Dies blieb nicht unbemerkt und man glaubte mir einen Anreiz geben zu können, indem man mich in Richtung Wasserball manövriert. Die Wasserballer waren alle gut gebaute Kerle. Das hätte mir schon gefallen. Das Training und die Spiele waren allerdings ausgesprochen konditionslastig und körperbetont. Das hat mir nicht gefallen.

Mit elf war dann Schluss. Mein Vater hat auch nicht mehr eingesehen, die Beiträge für den Verein für einen derartig lustlos agierenden Anti-Schwimmstar zu zahlen. Er hielt mit seiner Enttäuschung auch nicht hinter dem Berg und ließ mich diese fortan bei jeder Gelegenheit spüren. Aus mir hätte mit Sicherheit was ganz Großes werden können. Darüber waren sich alle einig, nur ich nicht. Mir genügte es fortan meine Schwimmkünste im privaten Bereich zu demonstrieren. Nur vom Turm gesprungen bin ich nie. Angst. Der erste Sprung vom drei Meter Brett, sollte mir erst mit Mitte Zwanzig gelingen. Das war auch das höchste der Gefühle.


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